Prof. Wolf-Dieter Narr hat am 8.5.2009 an über 1400 Psychiatrien
bzw. Chefärzte psychiatrischer Einrichtungen ein Fax
gesendet (hier ein pdf
dieses Schreibens).
Eine Antwort darauf von Prof.
Dr. Dr. Dres. h.c. Heinz Häfner, Initiator des Zentralinstituts
für Seelische Gesundheit in Mannheim, erwidert Prof.
Wolf-Dieter Narr mit folgender E-Mail. Prof. Narr hat uns
eine Kopie dieser Mail zukommen lassen. Danke!
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Original-Nachricht --------
An:
Heinz
Haefner
CC an:
A. Heinz
F. Schneider
I. Hauth
K.-H. Beine
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
Sehr geehrter Herr Kollege Häfner,
Sie antworteten auf mein Fax:
Sehr
geehrter Herr Kollege Narr,
wenn Sie sich couragiert und gewissenhaft mit den
Auswirkungen der zitierten Stelle auf die rechtlichen Voraussetzungen
zur Anwendung von Freiheitsentzug in der Psychiatrie beschäftigen,
so ist Ihre Adresse der Rechtsetzende Gesetzgeber. In diesem
Fall sind das, wie Sie in Ihrem Brief auch festhalten, die
Länder der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist nicht Ihre Aufgabe, anstelle des Gesetzgebers
den Anwendern gesetzlicher Regelungen, hier den verantwortlichen
Leitern Psychiatrischer Krankenhäuser und vergleichbarer Einrichtungen,
Rechtsetzende Weisungen mit Sanktionsandrohungen zu geben.
In Sonderheit scheint es mir empfehlenswert, Ihre Sätze "Die
PsychKGe sind ´intrinsically discriminatory´ und ´unlawfull
law´... Sie machen sich also eines Verbrechens schuldig, wenn
Sie Gewalt ausübend Menschen in der Psychiatrie einsperren."
unter Beachtung der Rechtslage noch einmal kritisch zu reflektieren.
Ihre an die Leiter Psychiatrischer Einrichtungen gerichtete
Aufforderung, auch rechtlich begründete und ärztlich gebotene
Handlungen mit Freiheitseinschränkungen umgehend abzuschaffen
bzw. zu beenden und im anderen Falle eine kurze Begründung
vorzulegen, weshalb sie Ihrer rechtlich nicht vertretbaren
Forderung nicht Folge leisten wolle, ist mir schwer nachvollziehbar.
Eine exekutive Kompetenz kommt Ihnen zweifellos nicht zu.
Eine sorgfältige Lese der von Ihnen zitierten Bestimmung
hätte Ihnen die Einsicht vermittelt, dass damit die menschenrechtlich
abgestützte Pflicht zur Milderung oder Heilung menschlichen
Leidens nicht nur der psychisch Kranken sondern auch der psychisch
Behinderten nicht in Frage gestellt wird. Lediglich
eine willkürliche Freiheitsentziehung ausschließlich wegen
Behinderung wird aus guten Gründen in keinem Fall als gerechtfertigt
bezeichnet.
Eine abwägende Betrachtung der Tatsache, dass Freiheitsentziehung
bei nicht einwilligungsfähig psychisch Kranken, die zu ihrem
eigenen Schutz oder zum Schutz der Gesellschaft behandlungsbedürftig
sind, in Übereinstimmung mit den jeweils geltenden Gesetzen
erfolgen darf und muss, fehlt in Ihrem Text.
In meinem Schreiben vom 8.3. verwies
ich auf die UN-Konvention, also das Dokument einer Institution,
die von den Staaten der Welt dafür geschaffen wurde, Regeln
zu geben, die für alle Menschen verbindlich sind. Man könnte
diese das Grundgesetz für die Menschheit nennen.
Sie stimmen mit meinem Verständnis von dieser Konvention nicht
überein. Aber was ist das richtige Verständnis? Ist es Ihres?
Da es meinem Verständnis widerspricht, meine ich, sollte für
die Interpretation des Textes an erster Stelle die Institution,
die ihn ausgearbeitet hat, also die UN selbst, zu Rate gezogen
werden. In diesem Fall speziell der Abschnitt eines Dokuments
des Hochkommissariats für Menschenrechte, das am 26.1.2009 der
UN-Vollversammlung übergeben worden ist und das sich zum
Schutz und zur Förderung der Menschenrechte von Behinderten
mit der Behindertenrechtskonvention beschäftigt. Offensichtlich
sind Fragen zu dem richtigen Verständnis der Konvention bereits
an die Vereinten Nationen gerichtet worden. Deshalb hat die
UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Dr. Navanethem Pillay,
für die UN-Vollversammlung eine detaillierte Erläuterung der
Fragen gegeben, die im Zusammenhang mit dem Thema meines Schreiben
an Sie entstanden sind: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/10session/A.HRC.10.48.pdf
Sie geht in Ihrem Bericht ausdrücklich, wie Sie auf den Seiten 15 und
16 sehen können, auf das Thema der Einsperrung "ausschließlich"
auf Grund einer Behinderung ein, auf das Sie sich in dem vierter
Absatz Ihrer Antwort berufen. Sie schreibt dazu:
"Während
der Ausarbeitung des Übereinkommens wurden die Vorschläge
verworfen, die das Verbot der Inhaftierung auf die Fälle von
"nur" Behinderung begrenzen wollten."
Ich füge sowohl das englische Original der Abschnitte 47., 48. und 49.
unten bei, wie auch eine deutsche Übersetzung. Sie dokumentieren
die Abkehr von der UN Resolution Nr. 46/119
vom 17. Dezember 1991. Besonders bemerkenswert die
klare Erklärung zur Illegalität des § 63 StGB ("the insanity
defense"), wie sie schon in der Hamburger Dissertation
von Annelie Prapolinat zum Dr. jur. am Fachbereich Rechtswissenschaften
aus dem Jahr 2004 nachgewiesen wurde. Ihr Titel (im Internet
zu finden): "Subjektive Anforderungen an eine ´rechtswidrige Tat´ bei § 63 StGB".
Ich setze darauf, dass die psychiatrische Profession die
Konvention nicht nur mit Respekt behandelt, sondern aus deren mustergültigen
Veränderungen Lehren zieht.
Aus einer Antwort auf meine Umfrage bei Ihren Kollegen ist dieser
Prozess, um zu denken und anders zu handeln, schon
abzulesen. Ich zitiere mit Einverständnis von Dr. Wolf Müller,
Chefarzt in Bünde:
Die
UN-Behindertenrechtskonvention halte ich für ein wichtiges Dokument.
Seit langem spreche ich mich gegen geschlossene Stationen im
vollstationären psychiatrischen Bereich aus. Es gibt zahlreiche
Kliniken in der BRD die trotz Pflichtversorgung offen geführt
werden. Suizide, Entweichungen sind dort eher seltener. Zwang
in jeder Hinsicht ist traumatisierend, psychische Erkrankung
hat meist eine Traumatisierung als wichtige Ursache. Gewalt
ist retraumatisierend, untherapeutisch.
Die meisten Patientinnen kommen über das Trauma einer
Fixierung nie hinweg. ....
Die Psych-KG´s in der BRD müssten entsprechend überarbeitet
werden.
Es ist ein leider vielen nicht bekannter Skandal, dass "massenweise"
Betroffene unter gesetzliche Betreuung gestellt werden,
oft mit dem fadenscheinigen Argument einer möglichen Chronifizierung
- als würde nicht gerade Gewalt und unsere schlechten Therapien
die Chronifizierung verursachen. Über die Betreuung wird dann
oft, die strengen Vorschriften des Psych-KG umgehend, eine Zwangseinweisung,
Zwangsbehandlung mit notfalls Fixierung, veranlasst und ermöglicht.
Es wäre hilfreich, wenn Sie hier aufklärend tätig werden könnten.
Offensichtlich werden gerade die Zwangsmaßnahmen von Ihrem Kollegen
als Ärzte induzierte Krankheit verstanden!
Eine
Kopie dieses Schreibens geht an den Präsidenten der Deutschen
Gesellschaft für Psychiatrie sowie an die Vorsitzenden der
Lehrstuhlinhaberkonferenz für Psychiatrie, der Bundesdirektorenkonferenz
und der Konferenz der Leiter Psychiatrischer Abteilungen.
Da Sie den Kreis
derer erweitert haben, die Ihre Antwort zu lesen bekommen haben,
möchte auch ich nun den Kreis derer erweitern, denen unsere
Korrespondenz teil werden soll. Entsprechend geht eine Kopie dieses Schreibens an:
den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
F. Schneider
den Vorsitzenden der Lehrstuhlinhaberkonferenz für Psychiatrie,
A. Heinz
den Vorsitzenden der Bundesdirektorenkonferenz I. Hauth
den Vorsitzenden der Konferenz der Leiter Psychiatrischer Abteilungen,
K.-H. Beine
die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
Mit freundlichen Grüßen
Wolf-Dieter Narr
PS:
Gestatten Sie mir den gewiss fachbornierten, wenn Sie gestatten
ins Wasser der Ironie getunkten Hinweis. Sie legen in Ihrem
Brief vor allem am Beginn großen Wert auf die Trennung der Gewalten.
Statt mich an den Gesetzgeber zu wenden, adressierte ich Sie
und Ihresgleichen. Leider irren Sie. Der Gesetzgeber ist nicht
dazu da, für die Implementation der Gesetze zu sorgen. Das sollen
die Exekutive, die vom Gesetz gemeinten Institutionen und nicht
zuletzt die Bürgerinnen und Bürger tun. Sie als Vertreter einer
psychiatrischen Institution sollen also korrekt handeln und
dürfen nicht darauf warten, bis der Gesetzgeber Sie zurückpfeift.
Sie sind es, die an erster Stelle, gottseidank auch und gerade
für Sie, für Ihr Verhalten verantwortlich sind. Diese
I h r e Verantwortung können Sie niemandem abschieben.
Sie sollten, wenn ich mich ausnahmsweise selbst loben darf,
für Bürgerinnen und Bürger wie meine Wenigkeit vielmehr dankbar
sein, wenn sie Sie auf Ihren menschenrechtswidrigen Irrtum aufmerksam machen.
Damit gerate ich übrigens auch nicht, wenn Sie mich in
der wichtigen Lehre der Gewaltenteilung fortfahren lassen, in
die Gefahr, mir Funktionen der politischen Exekutive anzumaßen.
Gewiss, ich würde Sie und Ihresgleichen gern dazu anhalten,
menschenrechtskonform zu handeln. Zwingen indes wollte ich Sie
gerade nicht.
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47. In the area of criminal law, recognition
of the legal capacity of persons with disabilities requires
abolishing a defence based on the negation of criminal responsibility
because of the existence of a mental or intellectual disability.41 Instead
disability-neutral doctrines on the subjective element of the
crime should be applied, which take into consideration the situation
of the individual defendant. Procedural accommodations both
during the pretrial and trial phase of the proceedings might
be required in accordance with article 13 of the Convention,
and implementing norms must be adopted.
5. Right to liberty and security of the person
48. A particular challenge in the context of promoting
and protecting the right to liberty and security of persons
with disabilities is the legislation and practice related to
health care and more specifically to institutionalization without
the free and informed consent of the person concerned (also
often referred to as involuntary or compulsory institutionalization).
Prior to the entrance into force of the Convention, the existence
of a mental disability represented a lawful ground for deprivation
of liberty and detention under international human rights law.42
The Convention radically departs from
this approach by forbidding deprivation of liberty based on
the existence of any disability, including mental or intellectual,
as discriminatory. Article 14, paragraph 1 (b), of the Convention
unambiguously states that "the existence of a disability
shall in no case justify a deprivation of liberty". Proposals
made during the drafting of the Convention to limit the prohibition
of detention to cases "solely" determined by disability
were rejected.43 As
a result, unlawful detention encompasses situations where the
deprivation of liberty is grounded in the combination between
a mental or intellectual disability and other elements such
as dangerousness, or care and treatment. Since such measures
are partly justified by the persons disability, they are to
be considered discriminatory and in violation of the prohibition
of deprivation of liberty on the grounds of disability, and
the right to liberty on an equal basis with others prescribed
by article 14.
49. Legislation authorizing the institutionalization
of persons with disabilities on the grounds of their disability
without their free and informed consent must be abolished. This
must include the repeal of provisions authorizing institutionalization
of persons with disabilities for their care and treatment without
their free and informed consent, as well as provisions authorizing
the preventive detention of persons with disabilities on grounds
such as the likelihood of them posing a danger to themselves
or others, in all cases in which such grounds of care, treatment
and public security are linked in legislation to an apparent
or diagnosed mental illness....
41 Often
referred to as "insanity defence".
42 See for reference the Principles
for the Protection of Persons with Mental Illness and the Improvement
of Mental Health Care, A/RES/46/119, available at: http://www.un.org/documents/ ga/res/46/a46r119.htm.
43 In the
course of the third session of the Ad Hoc Committee on a Comprehensive
and Integral International Convention on the Protection and
Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities,
proposals were made to add the word "solely" to then draft article
10, paragraph 1 (b), so it would read "any deprivation of liberty
shall be in conformity with the law and in no case shall be
based solely on disability".
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47. Im Bereich des Strafrechts erfordert die Anerkennung
der Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen die Abschaffung
der Verteidigung auf der Grundlage der Negation strafrechtlicher
Verantwortung aufgrund des Vorliegens einer psychischen oder
geistigen Behinderung. 41 Stattdessen müssen behinderungsunabhängige
Maßstäbe für das subjektive Element von Straftaten mit der Berücksichtigung
der Situation der einzelnen Beschuldigten angewandt werden.
Wenn Untersuchungshaft vor oder während des Strafverfahrens
in Übereinstimmung mit Artikel 13 des Übereinkommens erforderlich
sein sollte, müssen die gesetzlichen Regelungen entsprechend
angepasst werden.
48. Eine besondere Herausforderung im Rahmen der Förderung
und des Schutzes des Rechts auf Freiheit und Sicherheit der
Menschen mit Behinderungen ist die Gesetzgebung und die Praxis
im Bezug auf die Gesundheitsversorgung und insbesondere zur
Unterbringung ohne die informierte Zustimmung der betroffenen
Person (oft auch als unfreiwillige oder erzwungene Unterbringung
bezeichnet). Bevor die Konvention in Kraft getreten ist, war
die Existenz einer geistigen oder psychischen Behinderung im
Rahmen internationaler Menschenrechte ein rechtmäßiger Grund
für die Entziehung der Freiheit und Einsperrung.42 Das Übereinkommen wendet sich
radikal von diesem Ansatz dadurch ab, dass jeder Freiheitsentzug
auf der Grundlage der Existenz einer Behinderung, einschließlich
einer psychischen oder geistigen Behinderung, als diskriminierend
verboten ist. In Artikel 14 Absatz 1 (b) des Übereinkommens
heißt es unmissverständlich, dass "das Vorliegen einer Behinderung
in keinem Fall eine Freiheitsberaubung rechtfertigt". Während
der Ausarbeitung des Übereinkommens wurden die Vorschläge verworfen,
die das Verbot der Inhaftierung auf die Fälle von "nur" Behinderung
begrenzen wollten43 [Anmerkung Wolf-Dieter
Narr: Genau diese verworfenen Vorschläge haben Sie als Vorwand
für Ihre Argumentation genommen].
Dies hat zur Folge, dass rechtswidrige Einsperrung auch die
Situationen umfasst, in denen der Entzug der Freiheit mit einer
Kombination von einer psychischen oder geistigen Behinderung
und andere Elemente wie Gefährlichkeit oder der Betreuung und
Behandlung begründet wird. Da diese Maßnahmen teilweise durch
die Behinderung einer Person gerechtfertigt werden, sind sie
diskriminierend und verletzen das Verbot eine Freiheitsentziehung
49. Gesetzgebung, die zur Unterbringung von Menschen
mit Behinderungen aufgrund ihrer Behinderung ohne ihre freie
und informierte Zustimmung ermächtigt, muss abgeschafft werden.
Das muss sowohl die Abschaffung der Gesetzgebung umfassen, die
die Unterbringung von Personen mit Behinderung ohne deren freie
und informierte Zustimmung legalisiert, als auch die Abschaffung
von Gesetzen, die die Schutzhaft von Menschen mit Behinderung
in Fällen wie der Wahrscheinlichkeit, eine Gefahr für sich selbst
oder für andere zu sein und in allen Fällen, in denen die Fürsorge,
die Behandlung oder die öffentliche Sicherheit mit einer vermuteten
oder diagnostizierten psychischen Krankheit verbunden wird,
legalisieren....
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41
im Englischen als "insanity defence" bezeichnet.
42
Siehe als Verweis
die "Grundsätze für den Schutz von Personen mit psychischen
Erkrankungen und der Verbesserung der psychischen Gesundheit",
A/RES/46/119, im Internet unter: http://www.un.org/documents/ga/res/46/a46r119.htm
.
43 Im Laufe der dritten
Sitzung des Ad-hoc-Ausschuss über eine umfassende und integrative
Internationale Behindertenrechtskonvention zum Schutz und der
Förderung der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen
wurden Vorschläge gemacht, das Wort "alleine" in den Entwurf
des damals als Artikel 10 Absatz 1 (b) bezeichenten Artikels
einzufügen, der dann gelautet hätte: "Jede Freiheitsberaubung
darf nur im Einklang mit dem Gesetz erfolgen und sie darf in
keinem Fall alleine auf Behinderung beruhen."
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