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Dissidentenfunk


Ministerin Altpeter auf Biegen und Brechen gegen Grundrechte

Prof. Wolf-Dieter Narr hat auf den Brief von Ministerin Altpeter an einen Bundestagsabgeordneten postwendend geantwortet, nachdem dieser auch ihn erreicht hatte. Prof. Wolf-Dieter Narr hat uns freundlicherweise beide Briefe zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

Der Brief von Ministerin Altpeter (hier Link zum pdf):

Stuttgart, 7. Mai 2012

Neufassung von § 8 Absatz 2 Satz 2 Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (UBG)

Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete

in Ihrem Schreiben vom 3. April 2012 sprechen Sie die Problematik der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug an. Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2011 und der darin erfolgten Nichtigerklärung von § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG entsteht in Baden-Württemberg die Notwendigkeit, den gesamten Bereich der Behandlung eines stationär in einer anerkannten Einrichtung im Sinne des § 2 UBG untergebrachten Patienten neu zu regeln.

Wir wollen insoweit möglichst schnell - und damit unabhängig von der Verabschiedung eines Landespsychiatriegesetzes, welches ebenfalls gerade für Baden-Württemberg erarbeitet wird - eine rechtliche Grundlage für die Behandlung nach UBG untergebrachter Personen schaffen. Ein erster Referentenentwurf wurde bereits an verschiedene mit der Sache befasste Verbände und Institutionen versandt, die hierzu Stellung genommen haben. Beteiligt war auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V., die zur Thematik ein ausführliches Gutachten von Prof. Wolf Dieter Narr vorgelegt hat. Die Argumente dieser Seite sind mir daher sehr wohl bekannt.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der strikten Ablehnung jedweder Zwangsmedikation nur um eine Sichtweise der insgesamt sehr komplexen Problematik handelt. Es gibt auch gute Gründe, die für eine Zwangsbehandlung sprechen. So wird eine solche - gleichermaßen von Ärzten als auch von Betroffenen - beispielsweise in den Fällen befürwortet, in denen die betroffene Person krankheitsbedingt zur Einsicht in ihre Krankheit und deren Behandlungsbedürftigkeit nicht in der Lage ist und die Zwangsbehandlung der Wiederherstellung der tatsächlichen Voraussetzungen ihrer freier Selbstbestimmung dienen kann.

In engen Grenzen hält auch das Bundesverfassungsgericht in seinen die Zwangsmedikation betreffenden Beschlüssen vom 23. März 2011 und vom 12. Oktober 2011 eine solche für rechtmäßig. Unsere Neuregelung wird sich auf jeden Fall an diesen Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts orientieren. Um uns vorab nochmals einen unmittelbaren und umfassenden Eindruck der unterschiedlichen Positionen zu diesem Thema zu verschaffen, werden wir im Mai im Ministerium ein Expertengespräch durchführen, dessen Ergebnisse in unsere Neuregelung einfließen sollen. Bei der konkreten Ausgestaltung der Vorschrift werden wir selbstverständlich auch das von Ihnen erwähnte Patientenverfügungsgesetz berücksichtigen.

Wie die Neufassung von § 8 UBG im Detail aussehen wird, steht erst nach Einarbeitung aller Stellungnahmen in unseren Entwurf sowie nach dem erwähnten Expertengespräch fest und wird letztendlich Ergebnis des parlamentarischen Entscheidungsprozesses sein, dem ich an dieser Stelle nicht vorgreifen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Katrin Altpeter MdL

 

Die Antwort von Wolf-Dieter Narr (hier Link zum pdf):

Berlin, 24. Mai 2012

Betr.: Neufassung von § 8 Absatz 2 Satz 2 Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (UBG)

Hier: Brief von der Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren der Regierung von Baden-Württemberg, Frau Katrin Altpeter, MdL an , MdB

Liebe ,

indem ich mich bedanke, dass Sie mir den Brief von Katrin Altpeter an Sie in der oben genannten Angelegenheit haben zukommen lassen, will ich es nachträglich nicht versäumen, mich für das Gespräch zu bedanken, das Sie trotz Ihrer knappen Zeit René Talbot und mir gewährt haben. Eine Folge dieses Gesprächs war es ja wohl, dass Sie sich in Sachen des neu gefassten § 8 UBG an Ihre Kollegin Ministerin gewandt haben.

Erlauben Sie mir, im alten Stil gesprochen, postwendend, mich vor allem zur Kernpassage von Frau Altpeters Brief S. 2, Abs.1 ungeschminkt zu äußern, da es hier um gesetzliche Bestimmungen geht, die Personen existentiell betreffen. Da ist jedes Manövrieren, jedes interessengruppenhaftes Kumulieren und Panaschieren nicht akzeptabel.

1._ Frau Altpeter argumentiert, es gäbe außer der von mir und anderen vertretenen „strikten Ablehnung jeder Zwangsmedikation“ auch andere „Sichtweisen“. Sie trügen „gute Gründe“ vor, „die für eine Zwangsbehandlung sprechen.“ Solche würden „gleichermaßen von Ärzten als auch von Betroffenen“ geäußert. „Zwangsbehandlung“ würde „beispielsweise in den Fällen befürwortet, in denen die betroffener Person krankheitsbedingt zur Einsicht in ihre Krankheit und deren Behandlungsbedürfigkeit nicht in der Lage ist und die Zwangsbehandlung der Wiederherstellung der tatsächlichen Voraussetzungen ihrer freien Selbstbestimmung dienen kann.“ Im nächsten Absatz fügt Frau Altpeter hinzu, auch das Bundesverfassungsgericht habe in „engen Grenzen“ „die Zwangsmedikation“ „für rechtmäßig gehalten.“

2. Frau Altpeter hat Recht, es gibt verschiedene Positionen. Sie hat gleicher Weise Recht, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem mehrfachen „Nein“, auch eine mit vielen Vorbehalten verstellte Lücke eines minimalen „Ja“ gelassen hat. Nein: Zwangsbehandlung ist mit den Grundrechten nicht zu vereinbaren. Nein, Selbstgefährdung stellt keine Gefahr dar, die rechtfertigte, Grundrechte zu beseitigen. „Ja“ unter der spezifischen Voraussetzungen, dass die Person Anwendung von Zwang bei Unterbringung und Behandlung selbst vorab und dokumentiert im einwilligungsfähigen Zustand zugestimmt hat. Freilich: Frau Altpeters Art, zu argumentieren erweckt den bestimmten Anschein, sie gehe darauf aus, Zwangsbehandlungen für rechtens erklären lassen zu wollen, ob wohl sie sich nicht nur mit unseren, sondern auch mit anderen und schließlich mit verfassungsgerichtlich vorgetragenen Gründen nicht eine Spur lang auseinandersetzt.

3.

Darum irrt Frau Altpeter mit Verlaub und aller angezeigten Ehrerbietung gesagt. Zwang gegen Personen, hier in Sonderheit gegen behinderte Personen, heischt auf dem Boden des Grundgesetzes nach Maßgabe der „unmittelbar geltenden Grundrechte“ sonst geltende pluralistische Beliebigkeit und vereinigende Summenformel von Interessen gar in Form von Gesetzen äußerste Skrupulosität. Darum irrt Frau Altpeter auch, wenn sie annimmt, der Landesgesetzgeber verfüge über den gesetzgebenden Spielraum, den ihm die Föderalismusreform zusätzlich gedehnt hat. In Sachen unmittelbarer Geltung der Grundrechte und ihrer nur unter den benannten Umständen mögliche Einschränkung gelten fürs erste die Anforderungen, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 4. 5. 2011 (2 BvR 2365/09) Sicherungsverwahrung nach der kurz zuvor ergangenen Entscheidung zum rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetz festgesetzt hat.

-_ Im Leitsatz 3 c heißt es: der Bundesgesetzgeber unterliege einer „Konzeptpflicht“, diese gilt selbstredend damit auch für den Landesgesetzgeber. „Die zentrale Bedeutung, die diesem Konzept für die Verwirklichung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten zukommt, gebietet einer gesetzliche Regelungsdichte, die keine maßgeblichen Fragen der Entscheidungsmacht der Exekutive oder Judikative überlässt, sondern deren Handeln in allen wesentlichen Bereichen determiniert.“
- In Absatz Nr. 129 wird vom Bundes- und Landesgesetzgeber gleichermaßen verlangt, dass „er die wesentlichen Leitlinien des freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts, …, selbst regeln und sichern (müsse), dass diese konzeptionelle Ausrichtung der Sicherungsverwahrung nicht durch landesrechtliche Regelungen unterlaufen werden kann.“ Diese Feststellung gilt ohne Frage für jede Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung auch außerhalb der „Sicherungsverwahrung“ im engeren Sinne.
4. Frau Altpeter hat nicht nur die neueren Entscheidungen des BVerG nicht mehr als nominell berücksichtigt. Sie hat es auch unterlassen, die Erfordernisse der Patientenverfügung und der Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen. Summa summarum ist ihr Versuch, die Freiheit des Landesgesetzgebers zu sichern, dadurch gekennzeichnet, dass sie die konstitutive Sicherheit der Grundrechte und ihrer Geltung preiszugeben bereit scheint. So ist es nur zu erklären , dass sie nicht nur pauschal „Ärzte“ anführt, die Zwangslücken interessiert befürworteten, sondern „Betroffene“, also ihrerseits psychisch Behinderte, die stellvertretend bei anderen Behinderten Zwangsmaßnahmen, erneut pauschal, befürworteten. Als dürften Freiheitsrechte zwangsverrückt werden, nur weil ihrerseits problembelastete Personen als stellvertretende Experten auftreten dürften.

Ich lasse mit diesen, verkürzt präsentierten Argumenten und Belege gegen Frau Altpeters nicht zureichend durchdachte Verteidigung der Freiheit, nein, der Willkür des Landesgesetzgebers heute sein Bewenden haben. Es wäre, scheint mir unter anderem angebracht, Sie könnten Ihren eigenen Vorschlag verwirklichen. Ich oder wir stünden jederzeit zur Verfügung. Ob Sie Ihrerseits unsere indirekte Antwort auf Frau Altpeter weiterleiten? Dürfen wir außerdem den Brief von Frau Altpeter und unsere Antwort darauf öffentlich benutzen?

Mit nochmaligen Dank und der Bitte, mir nachzusehen, dass ich Ihnen ein Stück freilich nötige Zeit nehme. Mit frischen Grüßen, die die Juliwärme im Mai spaßvoll machen mögen
Ihr
Wolf-Dieter Narr

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