Die
Neufassung von § 8 UBG soll ausweislich der Motive unter
strengen Voraussetzungen eine Zwangsmedikation von nach dem
Unterbringungsgesetz untergebrachten Personen rechtfertigen.
Zwangsbehandlung hat wegen der Abwehrrechte des Rechtes auf
Selbstbestimmung und des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit
von jeher ein überaus voraussetzungsreiches Legitimationsproblem.
Regelmäßig macht erst eine Einwilligung im Sinne
des § 228 StGB einen ärztlichen Eingriff, zu dem
auch die Behandlung mit Neuroleptika zählt, rechtmäßig;
ansonsten erfüllt er regelmäßig den Straftatbestand
der Körperverletzung.
Die
geplante Eingriffsgrundlage des § 8 Abs. 3 UBG schließt
eine Behandlung gegen den Willen bei einem einwilligungsfähigen
Patienten auch in Konsequenz der verfassungsrechtlichen Entscheidungen
aus.
Für
einen "einwilligungsunfähigen" Patienten soll
künftig indes eine Zwangsbehandlung wieder möglich
sein.
Bei
der Einschätzung der Frage der "Einwilligungsunfähigkeit"
eines Patienten in eine Zwangsbehandlung würden in der
Praxis erhebliche Prognoseunsicherheiten auftreten. In Deutschland
existieren keine medizinischen Standards für psychiatrische
Zwangsbehandlungen, "aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit
hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten
entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall
krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig
sind" ix.
(Die Mängel valider Standards, die irgend zwangsweise
Eingriffe und damit Verletzungen eines Kerns der Menschenrechte
lizensierten, gilt, nota bene., auch international allgemein.
Es sei denn, es würde tyrannisch darauf kein Wert gelegt.
Dann hieße es absolutistisch, strikt antidemokratisch:
auctoritas fact legem.) Nach Erkenntnissen der Monitoringstelle
des Deutschen Institutes für Menschenrechte gibt es für
Deutschland nicht einmal "belastbare Zahlen darüber,
wie viele Menschen in Deutschland ohne freie und informierte
Zustimmung behandelt wurden" x.
Die Anzahl insbesondere von ärztlichen Zwangsbehandlungen
pro Jahr ist unbekannt; es gibt lediglich Schätzungen.
Entsprechend
muss der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit nach wie
vor als unbestimmter Rechtsbegriff gelten, der als solcher
wegen der Eingriffsintensität den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes
ebenso wenig genügen wird wie der Begriff der "Regeln
der ärztlichen Kunst" xi.
Ohne die Schaffung von Grundvoraussetzungen und Standards
zur Bestimmung des Begriffes "Einwilligungsunfähigkeit"
besteht die konkrete Gefahr einer Subjektivierung dieses Begriffes
der Einwilligungsunfähigkeit je nach Gutdünken des
jeweiligen Arztes oder Gutachters xii.
Der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit wird zwar juristisch
mit vermeintlich ausreichender Präzision definiert, in
der Praxis begegnet diese Definition gleichwohl erheblicher
Unklarheit. Die bloße Feststellung einer psychischen
Störung wäre kein taugliches Kriterium. Ein psychiatrisches
Gutachten ist eine Leistung, die darin besteht, aufgrund wissenschaftlich
anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln
der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen
Aussagen zu machen. Gibt es keine entsprechenden allgemeingültigen
Kriterien und Standards, kann es auch kein hinreichend fundiertes
Sachverständigengutachten geben, das der hohen Bedeutung
des Eingriffs in das Grundrecht des Patienten auf Selbstbestimmung
genügen und damit als eingriffsrechtfertigend dienen
könnte.
Zwangsbehandlung
stellt einen so schwerwiegenden Eingriff dar, dass aus dem
Gesichtspunkt der Eingriffstiefe heraus nach Ansicht des Landesgesetzgebers
ein Richtervorbehalt geboten ist xiii.
Neuroleptika haben "häufig objektiv erkennbare und
subjektiv wahrgenommene Nebenwirkungen insbesondere auf Motorik
und vegetative Funktionen". Lebensbedrohliche Nebenwirkungen
mit ernsten Komplikationen und der "Möglichkeit
schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen"
sind möglichxiv.
Die
menschenrechtliche Kritikansatz hierzu ist evident. Die geplante
Regelung setzt sich über den erklärten Willen der
betroffenen Patienten hinweg, um sie im Zuge einer Diagnose
einer "Einwilligungsunfähigkeit" durch den
Willen Dritter zu ersetzen xv.
Grund-
und menschenrechtlich genau betrachtet, verneint sich die
Frage selbst, ob mit der Verwendung des Begriffes der Einwilligungsunfähigkeit
eine Vorschrift so bestimmt gefasst worden sei, "wie
dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte
mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist"
xvi.
b.
Die geplante Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 1 Ziffer
2 UBG n.F. – Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung
Die
Neuregelung des § 8 UBG enthält im Abs. 3 Satz 1
Ziffer 2 eine Regelung zur Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung.
Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss
vom 23.03.2012 xvii
ausgeführt:
"Als
rechtfertigender Belang kommt insoweit allerdings nicht der
gebotene Schutz Dritter vor den Straftaten in Betracht, die
der Untergebrachte im Fall seiner Entlassung begehen könnte.
Dieser Schutz kann auch dadurch gewährleistet werden,
dass der Untergebrachte unbehandelt im Maßregelvollzug
verbleibt. Er rechtfertigt daher keinen Behandlungszwang gegenüber
einem Untergebrachten, denn dessen Weigerung, sich behandeln
zu lassen, ist nicht der Sicherheit der Allgemeinheit vor
schweren Straftaten, sondern seiner Entlassungsperspektive
abträglich".
Zwar
nimmt die Entscheidung nur auf freiheitsentziehende Maßnahmen
des Maßregelvollzuges Bezug. Aufgrund des gleichen Normzweckes
einer möglichen Eingriffsnorm und einer gleichen Interessenlage
(Freiheitsentzug und Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung)
ist die Bezugnahme auf Fremdgefährdung bei der Legitimation
von Zwangsbehandlung aber nach dem eindeutigen Wortlaut der
verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom März 2011 unzweifelhaft
abzulehnen. Auch hier gilt, dass der Patient mit der Behandlungsverweigerung
seine Entlassung möglicherweise verzögert, effektiver
Schutz aber gleichwohl gewährleistet ist.
Zwangseingriffe
in Körper und Geist zählen zu den intensivsten Grundrechtseingriffen.
Sie sind seit jeher verfassungsrechtlich und rechtspolitisch
umstritten. Dies gilt erst recht, wenn der Betroffene öffentlichrechtlich
untergebracht istxviii.
Soweit
ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen "vor
sich selbst in Schutz zu nehmen" xix,
anzuerkennen ist, eröffnet dies keine "Vernunfthoheit"
staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt,
dass dessen Wille beispielsweise auch zur Inanspruchnahme
von Alternativmedizin allein deshalb beiseitegelegt werden
darf, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht
bzw. weil der Wille unvernünftig erscheint xx.
Soweit
in den Erörterungen des Gesetzesentwurfes von Baden-Württemberg
ausgeführt wird, das Verfassungsgericht habe keine Stellung
genommen, ob auch gegenwärtige erhebliche Gefahren für
Leib und Gesundheit Dritter eine Zwangsbehandlung rechtfertige,
so ist dies mit den jüngsten Leitsatzentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung nicht in Einklang
zu bringen. Auch wenn das UBG den Zweck verfolgt, dass es
"Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung begegnen" soll, legitimiert dies unter Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine
Zwangsbehandlung bei Gefahren für Dritte.
Das
Bundesverfassungsgericht dürfte die vorgesehene Regelung
des § 8 UBG wegen § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UBG ebenso
für nichtig erklären, wie zuvor in seiner Entscheidung
vom 20.02.2013 die §§ 22, 23 SächsPSychKG xxi.
Nur
ausnahmsweise sind Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen
Willen des Grundrechtsträgers verfassungskonform denkbar,
wenn und soweit "dieser zur Einsicht in die Schwere seiner
Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen
oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt
nicht fähig ist" xxii.
Damit
macht das Bundesverfassungsgericht die krankheitsbedingte
Einsichtsunfähigkeit zur generellen und ausnahmslosen
Bedingung der Zwangsbehandlung.
Das
Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2013 den § 22
Absatz 1 Satz 1 SächsPsychKG für nichtig erklärt
und zur Begründung ausgeführt: "Weder diese
Bestimmung noch andere, ergänzend heranzuziehende Vorschriften
des Gesetzes beschränken die medizinische Zwangsbehandlung
des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels, wie
verfassungsrechtlich geboten (…), auf den Fall seiner
krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit."
xxiii
Die
Eingriffsnorm verletzt auch hier die Grundrechte eines von
Zwangsbehandlung betroffenen Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG, weil die herangezogene Eingriffsgrundlage eine Regelung
zur Zwangsbehandlung von einwilligungsfähigen Patienten
normieren will. Der Eingriff wäre mit Art. 2 Abs. 2 Satz
1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und die
Rechtsnorm mangels Analogiefähigkeit insgesamt nichtig.
c.
Die geplante Regelung des § 8 Abs. 6 UBG: Keine Gültigkeit
der Patientenverfügung nach § 1901a BGB bei Drittgefährdung
Soweit
"ein einwilligungsfähiger Volljähriger für
den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich
festlegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung
noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines
Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche
Eingriffe einwilligt oder sie untersagt" xxiv,
soll diese Bestimmung für den Fall der Fremdgefährdung
nach § 8 Abs. 6 UBG keine Gültigkeit haben.
Das
Bundesverfassungsgericht hält wie ausgeführt Behandlungsmaßnahmen
gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers
nur dann denkbar, wenn und soweit "dieser zur Einsicht
in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von
Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß
solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist"
xxv.
Die Einsichtsunfähigkeit ist damit generelle und ausnahmslose
Bedingung einer denkbaren Zwangsbehandlung.
Die
Patientenverfügung ist eine antizipierte Willenserklärung
zur künftigen Behandlung eines Patienten. Nach dem gesetzgeberischen
Willen ist sie bindend; § 1901a BGB.
Die
Eingriffsnorm verletzt auch hier die Grundrechte eines von
Zwangsbehandlung betroffenen Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG, weil die herangezogene Eingriffsgrundlage eine Bestimmung
enthält, die eine Zwangsbehandlung auch für den
Fall der Einwilligungsfähigkeit enthält. Der Eingriff
wäre mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 unvereinbar und die Rechtsnorm
mangels Analogiefähigkeit insgesamt aus einem weiteren
Grund nichtig.
5.
Zusammenfassung
Der
geplante Gesetzesentwurf in seiner derzeitigen Fassung dürfte
einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten,
weil er Zwangsbehandlungen auch eines einwilligungsfähigen
Patienten in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UBG n.F. für den Fall
von Drittgefährdungen zulässt. Hieran werden auch
die landesgesetzgeberischen Erläuterungen hinsichtlich
der Zielrichtung des UBG als Instrument der Gefahrenprävention
nichts ändern, denn auch die Regelungen des Maßregelvollzuges,
die 2011 primär Anlass der verfassungsrechtlichen Beanstandungen
waren, enthalten solche general- und spezialpräventiven
Elemente.
Zudem
werden die bundesgesetzgeberischen Vorgaben zu § 1901a
BGB im neuen Regelungswerk nicht hinreichend beachtet und
die Regelungen der Patientenverfügung zur Selbstbestimmung
eines Patienten werden ausgehöhlt. Eine verfassungskonforme
Auslegung des § 8 Abs. 6 UBG n.F. vor dem Hintergrund
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wie vom
Landesgesetzgeber vorgesehen, wird hier nicht ausreichen.
Schließlich
sollte auch die Legitimation, sich über den erklärten
Willen eines Patienten hinwegzusetzen, in Frage gestellt sein,
zumal auch der Sonderberichterstatter über Folter des
UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Juan E. Méndez,
in der 22. Sitzung des "Human Rights Council" am
4. März 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter,
bzw. "grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung"
erklärt hat.
Zu
guter oder schlechter letzt: Das zentrale Motiv des baden-württembergischen
Gesetzgebers ist rechtstaatlich uneingeschränkt ernst
zu nehmen. Rechtssicherheit! Damit eng verbunden Berechenbarkeit
des rechtlich Statuierten. Und erneut innig verknüpft
sicher, nämlich berechenbares Recht bildet die Grundlage
bürgerlichen Vertrauens gerade dort, wo sonst aus nicht
selbst verschuldeten Gründen Unsicherheit herrscht. Bei
behinderten Menschen zumal. Erkennte der baden-württembergiche
Gesetzgeber, die Reihe der unbestimmten Rechtsbegriffe ineins
mit dem nicht singulären Mangel an ausgewiesen verlässlichen
Standards wissenschaftlich medizinisch ausgewiesener Psychiatrie,
er müsste seinen eigenen Zielen zuwiderhandeln. Er arbeitete
bewusst, nun bewusst mit einem dolus eventualis zugunsten
"rechtsicheren" Zwangs entgegen der Ausweitung von
Rechtsunsicherheit für behinderte Menschen im Kern ihrer
Grund- und Menschenrechte.
Berlin
/ Ettlingen, den 26. Mai 2013
Gez. Thomas S a s c h
e n b r e c k e r
Rechtsanwalt
Gez.
Wolf-Dieter Narr