Schirmherr: Gert Postel

Geschäftsstelle:
Haus der Demokratie u. Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Stellungnahme
im
Verfassungsbeschwerdeverfahren

 

Bundesverfassungsgericht
2. Senat
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe

Berlin, den 12.02.2010 / JSC
Unser Zeichen 128/2010 SSC

In dem
Verfassungsbeschwerdeverfahren
des Herrn P.

2 BvR 882/09

 

ist der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V., Wittener Straße 87, 44789 Bochum durch den Senat unter dem 25.11.2009 ersucht worden, gem. § 27a BVerfGG als sachkundige Dritter zum Verfahren Stellung zu nehmen.

 Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. hat daraufhin den Unterzeichner unter dem 23.01.2010 bevollmächtigt, die vom Verband rechtspolitisch vertretenen Ansichten und verfassungsrechtlichen Bedenken zum vorliegenden Fall zu formulieren.

 Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. vertritt die Auffassung, dass eine zwangsweise Behandlung gegen den erklärten Willen des Betroffenen grundsätzlich verfassungs- und menschenrechtswidrig ist. Im Speziellen ist die Behandlung mit (unkonkretisierten) Neuroleptika im gegebenen Fall grundgesetzwidrig und findet im Übrigen auch keine einfach gesetzliche Grundlage in § 6 MVollzG Rh-Pf.

 

 

A

Für die Stellungnahme maßgebliche Fragestellung

 

Die zwangsweise Behandlung so genannter psychisch Kranker ist sowohl in der Maßregel nach § 63 StGB, als auch im Rahmen der Unterbringung nach Betreuungsrecht eine nicht selten angewandte Maßnahme durch die behandelnden Ärzte. Dazu zählt insbesondere die Behandlung mit persönlichkeitsbeeinflussenden bzw. persönlichkeitsverändernden Psychopharmaka u. a. auch durch Neuroleptika. Die Zahl der nach § 63 StGB Untergebrachten, aber auch der nach Betreuungsrecht zwangsweise Behandelten erfährt seit Jahren eine erhebliche und kontinuierliche Steigerung [i] . Der Kreis der (potentiell) von Zwangsbehandlung Betroffenen in deutschen Psychiatrien dürfte damit nicht gering sein. Insoweit ist der, dem Bundesverfassungsgericht hier vorliegende Einzelfall exemplarisch anzusehen für eine ganze Vielzahl von täglich existenten Fällen der Zwangsbehandlung in der Bundesrepublik Deutschland.

 

Demnach soll sich die Stellungnahme des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener e. V. auf folgende (grundsätzliche) Fragen beziehen:

 

  • Findet eine solche, wie in der Verfassungsbeschwerde konkret beschriebene Zwangsbehandlung mit atypischen Neuroleptika überhaupt eine gesetzliche Grundlage?
  • Ist die gesetzliche Grundlage, aufgrund derer die Fachgerichte die Zwangsbehandlung für rechtmäßig eracht haben, mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar?
  • Ist die in der Verfassungsbeschwerde bezeichnete angedrohte zwangsweise Medikamentierung konkret, aber auch die Zwangsbehandlung allgemein vereinbar mit den Bestimmungen der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (nachfolgend Behindertenrechtskonvention (BRK)) und ihrer mit Zustimmungsgesetz vom 21.12.2008 [ii] in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 01.01.2009 eingetretenen Wirkung?


[i] Allein die Zahl der nach § 63 StGB Untergebrachten hat sich von 1996 bis 2009 um 217 % erhöht, die Anzahl der Betreuungsverfahren stieg von 1992 bis 2008 um 316 %; Quelle: Statistisches Bundesamt, Verfahren nach dem Betreuungsgesetz, Zusammenstellung der Bundesergebnisse für die Jahre 1992 bis 2008 und Rechtspflegestatistik, Fachserie 10 / Reihe 4.1 zum 31.03.2009; www.destatis.de.

[ii] Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008; BGBl. II, 2008, S. 1419ff.