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Internetversion mit freundlicher Genehmigung der beiden Autoren und der FamRZ , die Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, die die Abhandlung im Heft Nr. 15 vom 1. August 2006, Seite 1079 - 1083, erstveröffentlicht hat:

Unterbringung und Zwangsbehandlung

Eine Nachfrage bei den Vormundschaftsgerichten

von Prof. Dr. Wolf Dieter Narr,
und Wiss. Mitarbeiter Thomas Saschenbrecker, Berlin

Es mag auf den ersten Blick eine innere Logik haben, dass ein Betreuter, der zu Behandlungszwecken gemäß S1 1906 I Nr. 2 BGB geschlossen untergebracht wird, dort auch gegen seinen Willen behandelt werden darf. Im Zuge der Rechtsprechung des BGH1 sind insbesondere in Entscheidungen des OLG Celle2 jedoch Zweifel darüber aufgekommen, § 1906 1 Nr. 2 BGB als Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung anzunehmen.
Nicht hinreichend beachtet wurden in der bisherigen Praxis - so jedenfalls die Ansicht des OLG Celle und der ihr folgenden Literaturmeinungen3 - die Grundrechte eines Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II S. 1 GG.
Dieser Sachverhalt war für das Institut für Grundrechte und öffentliche Sicherheit an der Freien Universität Berlin Anlass, bei den Vormundschaftsgerichten in einer Totalerhebung nachzufragen, wie es um die Wahrung der Grundrechte bei der Zwangsbehandlung eines Betreuten stehe. An der Umfrage haben 388 Vormundschaftsgerichte von angeschriebenen 694, also mehr als 50 von Hundert teilgenommen.

1. Der Beschluss des OLG Celle

Der Beschluss des OLG Celle v. 10.8.20054, setzt sich mit der Frage der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung eines Betreuten während einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nach § 1906 II BGB zum Zwecke der Heilbehandlung auseinander:

Diesem Beschluss des OLG Celle liegt die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise medikamentöse Behandlung eines Betreuten mit einem Neuroleptikum zugrunde. Auf entsprechenden Antrag hin hatte das Amtsgericht nach vorausgegangener Anhörung des zu diesem Zeitpunkt bereits in geschlossener stationärer Behandlung befindlichen Betreuten die medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika gegen dessen Widerstand genehmigt.

Aus ärztlicher Sicht sei der Patient, so die Ausgangsentscheidung in ihren Gründen, als dringend behandlungsbedürftig anzusehen. Eine Entlassung sei nicht vertretbar, da damit gerechnet werden müsse, dass sich der aus ärztlicher Sicht behandlungsbedürftige Betreute selbst gefährde und sich sein Gesundheitszustand verschlechtere.

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat das Landgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht angeführt, dass die medikamentöse Behandlung des Betreuten unumgänglich und eine Besserung des Krankheitsbildes nur bei Behandlung mit Neuroleptika denkbar sei. Ohne diese Behandlung sei keine Besserung seines schweren Krankheitsbildes möglich. Diese müsse darum auch gegen seinen Willen vorgenommen werden.

Gegen diese Entscheidung hat der von Zwangsmedikation Betroffene erneut sofortige Beschwerde eingelegt. Der 17. Zivilsenat des OLG Celle hat sie für begründet erachtet. Er hat die angefochtene Entscheidung des Landgerichts zunächst aufgehoben und das Verfahren auch aus anderen Gründen an das Landgericht zurückverwiesen.

Entgegen den den Beschlüssen stillschweigend zugrunde liegenden Auffassungen des Amtsgerichts und Landgerichts sei - so das OLG Celle in seiner Entscheidung - eine Zwangsbehandlung auf betreuungsrechtlicher Grundlage rechtlich nicht zulässig und daher nicht genehmigungsfähig.
Der 17. Zivilsenat des OLG Celle vertritt in seiner Entscheidung im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Thüringen5 die Auffassung, auch die stationäre Zwangsbehandlung sei auf der Grundlage des Betreuungsrechts als rechtlich nicht zulässig anzusehen6. Eine ausreichende Rechtsgrundlage fehle. Das OLG Celle lehnt sich hierbei an die Entscheidung des BGH zur ambulanten Zwangsbehandlung 7 an.

Die in der Rechtsprechung geäußerte Gegenmeinung8 unterstellt die betreuungsrechtliche Zwangsmedikation grundsätzlich als zulässig. Sie sieht die Regelungen des § 1906 I Nr. 2
bzw. des § 1906 IV BGB als ausreichende Rechtsgrundlage an. Als ausfüllendes Kriterium für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung reiche deren Verhältnismäßigkeit angesichts der ansonsten drohenden gewichtigen Gesundheitsschäden aus. Dabei wird teilweise die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit auf die Fälle lebensnotwendiger Behandlungen beschränkt.
Diese Gegenmeinungen verwirft das OLG Celle als unzutreffend.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH9 und des BVerfG10 vertritt der Senat den Standpunkt, jede Zwangshandlung gegen den Widerstand des Betreuten bedürfe einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Soweit dieses formelle Gesetz teilweise in der Regelung des § 1906 I Nr. 2 bzw. § 1906 IV BGB gesehen werde, überzeuge diese Auffassung nicht. Der sprachlich eindeutige Gesetzestext enthalte nur die Befugnis zur Unterbringung bzw. zu unterbringungsähnlichen Maßnahmen, nicht jedoch die Befugnis zur - gemessen an der Eingriffsintensität - deutlich schwerwiegenderen Zwangsbehandlung.

Damit thematisiert eine höchstrichterliche Entscheidung die Frage der Zulässigkeit einer medikamentösen Zwangsbehandlung eines Betreuten unter dem Aspekt des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit Art. 2 II S. 1 GG. Wegen des Gesetzesvorbehaltes darf in Grundrechte grundsätzlich nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes eingegriffen werden, Art. 2 II S. 2 GG. Bei einer Zwangsbehandlung wird in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 II S. 1 GG eines Betreuten eingegriffen, bei einer Unterbringung in das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 II S. 2 GG.

Eine Rechtsgrundlage für einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ist im Betreuungsrecht aber gerade nicht ersichtlich11.
Der sprachlich eindeutige Gesetzestext des § 1906 BGB enthalte, so das OLG Celle, nur die Befugnis zur Unterbringung bzw. unterbringungsähnlichen Maßnahmen, nicht jedoch die Befugnis zur deutlich schwerwiegenderen Zwangsbehandlung.

Zwar könne der Wortlaut des § 1906 1 Nr. 2 BGB nahe legen, dass derjenige, der zu Behandlungszwecken geschlossen untergebracht sei, dort auch gegen seinen Willen behandelt werden dürfe. Der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes sei dieser Annahme jedoch ausdrücklich nicht gefolgt und habe von der gesetzlichen Regelung der Zwangsbehandlung ausdrücklich abgesehen12. Dementsprechend habe der Gesetzgeber auch die Zwangsbefugnisse für den Betreuer geregelt. In § 70g V FGG habe er die Befugnis zur Gewaltanwendung nur vorgesehen, um den Betreuten eventuell zwangsweise unterzubringen, nicht jedoch, ihn auch zwangsweise zu behandeln.

Vor diesem Hintergrund sei die Regelung des § 1906 BGB nicht als hinreichende formelle Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung anzusehen. Eine andere Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung nach den Landesgesetzen sei nicht ersichtlich. Aus diesem Grund sei die Rechtswidrigkeit der Zwangsbehandlung des Betroffenen festzustellen.

2. Die Fragestellung an die Vormundschaftsgerichte

In der Praxis der Rechtsprechung der Vormundschaftsgerichte wie auch bei der Anwendung von Zwang bei der medikamentösen Behandlung Betreuter mit Neuroleptika im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 BGB in einer psychiatrischen Anstalt nahm man bisher überwiegend an, die Zwangsbehandlung während einer stationären Unterbringung auf einer
geschlossenen Abteilung durch den Betreuer sei nach § 1906 I BGB zulässig. Sie werde durch die
Entscheidung des BGH zur ambulanten Zwangsbehandlung13 nicht berührt.

Im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung, der sich in neueren Entscheidungen auch der 9. Zivilsenat des OLG Thüringen in Abkehr von früheren Entscheidungen des in 2002 befassten 6. Zivilsenates wieder angeschlossen hat14, leitete man aus den Regelungen des § 1906 I Nr. 2 bzw. des § 1906 IV BGB eine ausreichende Rechtsgrundlage nicht nur für die freiheitsentziehenden Maßnahmen, sondern auch für die Zwangsbehandlung eines Betreuten mit Neuroleptika ab. Kriterium für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung sei deren Verhältnismäßigkeit angesichts ansonsten drohender gewichtiger Gesundheitsschäden.

Vor diesem Hintergrund wurde allen deutschen Vormundschaftsgerichten der zu Beginn der Erhebung unveröffentlichte Beschluss des OLG Celle15 verbunden mit den Fragen zugesandt, ob dieser Beschluss des OLG Celle v. 10.8.2005 auf künftige Entscheidungen in der jeweiligen vormundschaftsgerichtlichen Praxis Einfluss haben werde, und inwieweit man die Entscheidung als bindend für die Rechtsprechungspraxis der jeweils befragten Vormundschaftsgerichte ansehe.

Im Einzelnen wurden sämtliche 694 deutsche Vormundschaftsgerichte gebeten, prognostisch für ihre künftigen Entscheidungen unter folgenden Optionen auszuwählen:
- "Wir werden uns der Meinung des OLG in künftigen Entscheidungen nicht anschließen"
- "Wir werden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit künftig einer noch strengeren Tatsachenprüfung unterwerfen und nur noch in streng auszulegenden Ausnahmefällen, wie akute Lebensgefahr, einer psychiatrischen Zwangsbehandlung zustimmen"
- "Wir sehen wie das OLG Celle keine gesetzliche Grundlage für Zwangsbehandlung aus dem geltenden Betreuungsrecht."
Die Gerichte wurden außerdem gebeten, gegebenenfalls ihre jeweilige Einschätzung zu kommentieren.

Insgesamt haben von 694 angefragten Gerichten 388, mithin 56 % die Anfrage des Institutes für Grundrechte und öffentliche Sicherheit an der FU Berlin beantwortet. Unter den 388 Antworten waren 66 Antworten ohne eindeutige Zuordnung zu den Fragen. Teilweise wurde dieses Versäumnis mit differierenden Rechtsansichten der einzelnen mit vormundschaftsgerichtlichen Angelegenheiten befassten Richter eines Gerichtes begründet Teilweise verwiesen die 66 nicht eindeutigen Antworten der Amtsgerichte auf Erlasse der Ministerien, die die Teilnahme an Forschungsprojekten und damit an der Befragung von einer ministeriellen Zustimmung abhängig machten. In mehreren Antwortschreiben wurde eine Teilnahme aus Zeitgründen abgelehnt. Eine größere Anzahl der Vormundschaftsgerichte, die ohne eindeutige Zuordnung antworteten, wollte keine schematisierte Antwort geben und verwies auf die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung. Dabei sollte teilweise der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Tragen kommen. Einzelne Antwortschreiben enthielten auch den Hinweis, man habe derartige Fälle in der Praxis noch nicht entschieden.


Im Ergebnis schlossen sich 98,716 der befragten Gerichte, also 25,5 %, vorbehaltlos dem Urteil des OLG Celle an: Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer Behandlung gegen den Willen eines Betreuten sei abzulehnen.

144,6 der befragten Gerichte, mithin 37 % lehnten die Beschlussfassung des OLG Celle zur Unzulässigkeit der Zwangsbehandlung ab und sahen in Einklang mit der Rechtsprechung des OLG München und des OLG Schleswig17 in den Regelungen des § 1906 1 Nr. 2 bzw. des § 1906 IV BGB eine hinreichende Rechtsgrundlage. In der Hauptsache wurden Praktikabilitätserwägungen geäußert. In der Praxis sei eine Unterbringung nach § 1906 I Nr. 2 BGB nicht durchführbar und sinnentleert, enthielte die Rechtsnorm nicht zugleich eine Ermächtigungsgrundlage zur Behandlung gegen den Willen. Eine Unterbringungsgenehmigung zum Zwecke der Heilbehandlung - so die hier vielfach geäußerte Meinung - liefe ansonsten auf eine bloße Verwahrung hinaus.

Eine andere Sicht der Dinge allerdings - so die Meinung der ablehnenden Gerichte - sei gleichwohl zu vertreten18, falls eine Patientenverfügung vorliege und der erklärte Wille des Betroffenen einer Zwangsbehandlung mit Neuroleptika entgegenstehe. Das war der Sachverhalt im vom OLG Celle entschiedenen Fall, wenngleich der Senat in seinen Entscheidungsgründen obiter dictum keinen Zweifel daran beließ, dass er in der geltenden gesetzlichen Regelung keine Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung sehe.

79,5 der befragten Gerichte, also 20,5 %, wollten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker als bisher in die jeweilige Meinungsfindung einfließen lassen, ob Zwangsbehandlung im Einzelfall zulässig sei oder nicht. Hier wurde eine Entscheidung zur Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung verstärkt von der jeweiligen Einwilligungsfähigkeit, partiell aber auch vom Vorhandensein eines natürlichen Willens abhängig gemacht.

In den geäußerten Meinungen der befragten Gerichte ist indes durchweg der Wunsch nach Rechtsklarheit zu erkennen, vornehmlich durch eine Entscheidung des BGH aber auch durch gesetzgeberisches Handeln.

Lediglich insgesamt drei der befragten Gerichte nahmen explizit zur Frage eines Grundrechtseingriffes in die körperliche Unversehrtheit Stellung und lehnten bereits aufgrund bisheriger ständiger Rechtsprechung eine Zwangsmedikation ab.

3. Die Praxis der Rechtsprechung der Vormundschaftsgerichte

Die Befragung der Gerichte zur Anwendung der Grundrechte im Rahmen einer stationären Behandlung zeigt erhebliche Differenzen, teilweise selbst innerhalb des Fachbereiches der einzelnen Gerichte auf, wenn es um die Frage der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung bei einem Betreuten geht.

Auf die grundrechtsrelevante und vom OLG Celle thematisierte Frage, dass eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Anwendung von Zwang gegen den körperlichen Widerstand des Betroffenen bei der Medikation mit Neuroleptika und den damit verbundenen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht gegeben sei, gehen die Antworten in der überwiegenden Mehrzahl nicht ein.

Häufig äußern die Fachgerichte in diesem Zusammenhang, dass sich jedwede schematische Lösung in Unterbringungssachen verbiete und der Einzelfall zu prüfen sei, obgleich für Einzelfallentscheidungen und Prüfung derselben kein Raum sein kann, wenn und soweit grundrechtliche Fragen hinsichtlich der Eingriffsnorm hinreichend geklärt wären. Dies aber ist, zumindest unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des OLG Celle, nicht der Fall.

Vielfach dürfte das Grundrechtsverständnis der Amtsgerichte bezüglich künftiger Entscheidungen zur Genehmigung einer medikamentösen Zwangsbehandlung primär durch Praktikabilitätserwägungen geprägt sein. Die einschlägige Ansicht verweist darauf, man lasse ansonsten der Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung einen Verwahrcharakter zukommen und entleere die Norm des § 1906 I Nr. 2 BGB ihres Sinnes.

In diesem Zusammenhang ist auch der Verweis einzelner Gerichte vorzufinden, dass man "bislang immer selbstverständlich vorausgesetzt" habe, "eine Unterbringung von Betroffenen" gestatte auch die Zwangsmedikation der untergebrachten Personen durch die in der Psychiatrie behandelnden ärzte. Diesem Selbstverständnis gemäß habe man in der bisherigen Praxis auch keine Anträge auf Genehmigung einer Behandlung gegen den Willen eines Betroffenen bearbeitet, sondern im Zuge einer Unterbringung nach 5 1906 1 Nr. 2 BGB eine Zwangsbehandlung mehr oder minder geduldet.

Die Fachgerichte bewerten die Frage der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung in der vormundschaftsgerichtlichen Praxis äußerst unterschiedlich. Je nach zuständigem Vormundschaftsgericht, teilweise auch je nach Zuständigkeit des befassten Vormundschaftsrichters im Rahmen des Geschäftsverteilungsplanes des Gerichtes wird eine Zwangsbehandlung eines Betreuten zulässig erachtet oder mangels Rechtsgrundlage abgelehnt. So entscheidet letztlich der Zufall des Gerichtsorts, ob und inwieweit der jeweils Betroffene einer solchen Maßnahme gegen seinen Widerstand in einer psychiatrischen Anstalt mit Neuroleptika behandelt wird oder nicht.

Gleichwohl hat eine größere Anzahl der befragten Gerichte die Anfrage dahingehend beantwortet, die Rechtsprechung des OLG Celle in eigenen künftigen Entscheidungen zu berücksichtigen und die Behandlung eines Betreuten gegen seinen Willen mit Neuroleptika künftig mangels Rechtsgrundlage nicht zu genehmigen. Lediglich drei der gefragten Gerichte gaben allerdings an, dies sei auch bisherige Rechtsprechung des befragten Fachgerichtes gewesen.

4. Kommentar zum Beschluss des BGH v. 1.2.2006

Nach Abschluss der Umfrage hat der BGH einen Beschluss gefasst und sich zu den Fragen in einem obiter dictum geäußert19 Der BGH unterstreicht dabei die hohe normative Bedeutung von Art. 2 II GG. Und doch unterläuft er den starken Schutz der Integrität des Menschen. Er behauptet, das Recht des Betreuers den von ihm Betreuten notfalls entgegen dessen geäußertem Willen zwangsweise unterzubringen, impliziere konsequenterweise, dass der Betreuende zusätzlich erneut gegen den Willen des Betreuten in diverse Formen der von ärzten oder medizinischem Personal ausgeübten Zwangsbehandlung einzuwilligen vermöge. Dies sei rechtens. Diese Annahme ist mehrfach rechtsfehlerhaft. Sie arbeitet zum einen mit der Annahme einer implikativ gegebenen Ermächtigung. Diese ist aber rechtlich formell und grundrechtlich substantiell unzulässig. Sie verkennt zum zweiten die fundamentale Bedeutung von Art. 2 II GG insbesondere i. V mit Art. 1 I S. 1 GG und mit Art. 19 und 20 I S. 1 GG und Art. 104 1 GG. Art. 2 II GG kann als dauernd gültige, personal bezogene norma normans von einer norma normata nur in genau festgelegten Ausnahmen zeitlich und sachlich punktuell durchbrochen werden. Das heißt zugleich, dass der Gesetzesvorbehalt, durch einfache Gesetze zu verrechtlichen, nicht nur substantiell im Sinne der Wesensgehaltsklausel begrenzt auszuführen, sondern auch prozedural-formell festzulegen ist.

a) Weil die Integrität der Person als unmittelbar geltendes Menschenrecht höchsten Verfassungsrang besitzt, darf in diese Integrität äußerstenfalls nur eingegriffen werden, wenn rechtlich genau, notfalls durch abschließende Kasuistik explizit statuiert wird, wann, warum, wie und von wem mit welchen Mitteln ausnahmsweise die Integrität einer Person vorübergehend und im Einzelfall verletzt werden darf. Mit anderen Worten: An einzelgesetzlich ausgeführte Vorbehalte entgegen der kategorischen Geltung des Grundrechts auf die Integrität jedes Einzelnen sind die äußersten Anforderungen an Präzision und der durchgehenden, vorab geltenden Berechenbarkeit zu stellen. Die Allgemeinheit des Gesetzes ist in diesem Falle nur zulässig, wenn keine Person vorab diskriminiert wird. Die Allgemeinheit des Gesetzes ist grundrechtswidrig, wenn im vorstehenden Fall eine betreuende Person, ein Arzt, eine Person des Pflegepersonals einer Krankenanstalt, die erwiesene Willensunfähigkeit bzw. seinen nachgewiesenen selbstzerstörerischen akuten Zustand vorausgesetzt, entscheiden kann, ob eine Zwangshandlung vorgenommen werden muss und wie sie erfolgen darf. Dass der BGH sogar so weit geht, medikamentöses Experimentieren zu erwägen und zuzulassen, zeigt wie sehr sich das hohe Gericht auf die Gleitfläche des Zwangs und medizinisch professioneller Stellvertretung in Bezug auf die Gesundheit des Betreuten eingelassen hat. Als könnten sich - Professionalisierung und Fürsorge hin oder her - irgendeine Institution und deren kompetente Vertreter die Kompetenz anmaßen, die Gesundheit eines anderen Menschen in ihrer umfassenden Integrität körperlich und psychisch-geistig zu repräsentieren, sprich: zu vergegenwärtigen. Kurzum: wenn der Gesetzgeber wollte, dass an einem betreuten Menschen, der infolge der Entscheidung des Betreuenden zwangsweise in eine Anstalt eingewiesen worden ist, sei es ambulant, oder gelte die Verweildauer längere Zeit, medizinisch professionell ausgeübte Zwangseingriffe in seine Integrität vorgenommen werden dürfen, dann müsste er dies nicht nur zum einen explizit beschließen. Der Gesetzgeber müsste zum anderen das Gesetz und die Handhabung des Gesetzes distincte et clare festlegen. Unbestimmte Rechtsbegriffe, vage Vermutung von Kompetenzen in Richtung Medizin und ähnliches mehr sind hier nicht zulässig. Sonst handelte es sich von vornherein um ein gesetzeswidriges Gesetz.

b) Immanent im Duktus des BGH-Beschlusses verbleibend wurde unterstellt (s. o. a), unter Umständen sei nach entsprechend deutlichem und klarem Gesetz - das also die Rechtssicherheit des Grundrechtsträgers der Person entgegen allen präventiven Verwässerungen radikal ernst nimmt20 - ein hochgradig voraussetzungsvoller Zwangseingriff in die Integrität von Menschen möglich, wenn zugleich vorausgesetzt wird, eine andauernd kontrollierte, prinzipiell öffentlich einsehbare, institutionell ausgewiesene und detailliert geregelte Prozedur sei gewährleistet.

Diese Unterstellung widerspricht dem Grund- und Menschenrecht auf eine rundum geltende Integrität des Menschen und den damit notwendig verbundenen grund- und menschenrechtlichen Konnexnormen. Wie dies für die meisten anderen Grund- und Menschenrechte gleichfalls mutatis mutandis zutrifft, können Grund- und Menschenrechte im Unterschied zur klassischen Tradition ihrer ersten Formulierung Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur als "individuelle Abwehrrechte" verstanden werden. Ein solches Verständnis - genetisch aus der frühliberalen, anti-absolutistischen Genese erklärbar - setzt nicht nur die sozioökonomischen und psychologisch-politischen Bedingungen voraus, die es erst ermöglichen, dass Menschen ihrer Grund- und Menschenrechte bewusst werden und über die Mittel verfügen, sie wahrzunehmen21. Kurz, der menschenrechtliche Normgeber und die einer menschenrechtlich fundierten Verfassung folgenden Gewalten sind gehalten, für die gesellschaftlichen Voraussetzungen menschenrechtlicher Praxis zu sorgen, damit Menschen die ihnen qua ihrer Menscheneigenart zugesprochenen, vielmehr die aus ihrem Menschsein erwachsenen Rechte wahrnehmen.

Darüber hinaus lässt eine abwehrrechtlich restringierte Auffassung nicht begreifen, dass Grund- und Menschenrechte als Aktivrechte jeder Person auszulegen sind. Darum ist die Koppula zwischen Menschenrechten und Demokratie keine, die mehr oder minder willkürlich zwei einander zufällig begegnende Phänomene aneinander anhängt. Keines der zentralen Menschenrechte ist von vornherein für alle Zeiten, Länder und Personen übergreifend, also für alle geschichtlich in spezifischen Kontexten lebende Menschen, denen sie gelten, eindeutig und klar gegeben. So zentral der Anspruch der Menschenrechte ist, universell für alle Menschen aller Zeiten und aller Orte zu gelten, so sehr entsprechen die Menschenrechte erst dann ihrem individuell, auf jede Person geeichten Sinn, wenn der Kontext beachtet wird und Menschenrechte kontextgemäß vermittelt werden, in denen konkrete Menschen verletzlich leben. Das aber heißt über den allgemeinen politischen Auftrag hinaus, die jeweils möglichen und nötigen sozialen Bedingungen zu schaffen, das, was die Menschenrechte auf Integrität, Würde und Freiheit jeweils spezifisch bedeuten, kann nur die einzelne Person in ihrem unverwechselbaren Kontext und ihrem unverwechselbaren So-geworden-Sein bewusst entscheiden. Sie kann ihre Würde nur dadurch je und je neu erwerbend besitzen, dass sie erstlich und letztlich exklusiv darüber selbst entscheidet, ob und inwieweit sie ihre Integrität zu riskieren bereit ist, ob und inwieweit sie, in ihre Integrität eingreifen lassen will, um eine je und je personal angestrebte restitutio in integrum zu erreichen.

Fast etwas nonchalant stellt der BGH fest, in der Krankenbehandlung und im Heilungsprozess werde die Integrität des Menschen ohnehin medizinisch kompetent zur Disposition gestellt. Zutreffend ist daran allein, dass in der Tat jeder Mensch, der in Nach- oder in Vorsorge um gesundheitlichen Rat nachsucht, der sich in die Obhut eines Arztes, eines Krankenhauses u. A. m. begibt, damit seine Bereitschaft erklärt, in seine Integrität eingreifen zu lassen. Dass die Nachsuche nach Hilfe jedoch den personalen Menschenrechten und der frei selbstbestimmten und darum seine Würde ausdrückenden Integrität des Hilfe erpichten Menschen entspricht, sind drei Erfordernisse unabdingbar:

Zum ersten entscheidet der Rat und Hilfe suchende Mensch, ob, wo und welche Hilfe er bei wem sucht.

Zum zweiten: Der betreffende Mensch, der insoweit zum Patienten wird, entscheidet durchgehend letztlich selbst aufgrund etwa ärztlicher Ratschläge, in welcher Form und in welcher Tiefe er in seine Integrität eingreifen lassen will. Alle behandelnden Institutionen und ihre Helfer sind gehalten, das Ausmaß, die Art und die möglichen Effekte des Eingriffs vorab in verständlicher Form, in schweren Eingriffsfällen im Beisein von Angehörigen und/oder ansonsten vom Bürgerpatienten gewählten Vertrauten zu erläutern. Pauschale und/oder schwer verständliche Formblätter reichen dazu nicht aus.

Zum dritten: Die helfenden Institutionen und ihre kompetenten Angehörigen sind auf ein Verfahren zu verpflichten, das den Hippokratischen Eid der heutigen Fülle der kaum noch materiell fassbaren Eingriffe gemäß ausdifferenziert. Zugleich bedarf es bei gewichtigen Eingriffsfällen der innermedizinischen Zusatzkontrolle. Nur ein (kleines) Kollektiv kann die Entscheidung fällen, die letztlich Vorschlagscharakter behält und prinzipiell vom Patienten gebilligt werden muss.

Die hier vorgetragene Auffassung des Grund- und Menschenrechts der Integrität oder der Unversehrtheit des Menschen erhellt aus drei menschenrechtlich essentiellen Gründen.

Zum ersten: Dem schlechterdings zentralen Rang des Menschenrechts auf Integrität. Dieses ist so eng mit dem Menschenrecht auf Freiheit und dem auf Würde verbunden, dass sich diese menschenrechtliche Königinnentriade nur vereint und in der dauernden Wechselgeltung verwirklichen lässt.

Zum zweiten: Alle Menschenrechte sind nicht wie ein "rocher de bronze" fest, eindeutig und dauerhaft gegeben. Menschen sind verletzliche Wesen. Sonst bedürfte es der Normen nicht. Menschenrechte sind dazuhin hochgradig voraussetzungsreiche und je und je prekäre Notwendigkeiten des Menschen. Darum müssen sie immer erneut ausgelegt und spezifisch bestimmt werden. Menschenrechte als wesentliche Erfordernisse/Bedürfnisse jedes Menschen, um seinen Möglichkeiten gemäß leben zu können, sind letztlich nur von dem Menschen konkret zu bestimmen, der seine eigene Unversehrtheit frei und um seiner Würde willen bestimmt und gegebenenfalls gezielt ein stückweit preisgibt.

Die Universalität der Menschenrechte ereignet sich so jeweils historisch konkret im selbstbestimmten Tun und Lassen der einzelnen Person. Sie wird dadurch erst zur ganzen Person. All diese nötigen prinzipiellen Feststellungen zur Eigenart der Menschenrechte, hier des Rechts auf Integrität, besagen, dass es nicht angeht, Menschen gegen ihren Willen zwangsweise zu behandeln. Sollte nachweislich Gefahr im Verzug sein, dass Menschen aktuell akut andere Menschen physisch gefährden, also die Integrität anderer massiv zu verletzen drohen, kann es angemessen sein, solche Menschen so lange wie unbedingt erforderlich auf die sie schonendste Weise von anders gerichteten Gewaltakten abzuhalten. Es geht jedoch nicht an, gegen den Willen auch des noch so mit Gewalt gegen andere drohenden Menschen in dessen Integrität medikamentös oder mit anderen Mitteln mit nie restlos absehbaren Folgen einzugreifen. Auch der Gesetzgeber, handelt er den normae normandes der Grund- und Menschenrechte entsprechend, darf kein Gesetz beschließen, das die Integrität durch Eingriffe in Körper, Geist und Seele des Menschen mehr als im Sinne äußerlicher Blockade zu versehren droht.

c) Nach den vorgetragenen Argumenten muss der Schluss mutmaßlich nicht mehr genauer erläutert und aus den Grund- und Menschenrechten begründet werden: Eine pragmatische Lösung im üblich legeren Sprachgebrauch des Adjektivs "pragmatisch" ist dort nicht möglich, wo die Geltung der Grund- und Menschenrechte in Frage stehen. Und dies in ihrer Spitzennorm, der norma normans, die alle anderen fundiert und durchdringt: der habeas corpus-Akte, dem Menschen- und eben nur sekundär staatlich gegebenen Grundrecht auf Integrität oder mit dem schönen deutschen Wort: der Unversehrtheit. Für dieses Menschenrecht gilt durchgehend und bis ins Detail die Vermutung.

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1. BGH, FamRZ 2001, 149 ü: = NJW 2000, 888.

2. OLG Celle, FamRZ 2006, 443 (m. Anm. Brakebusch) = R&P 2005, 196 H (m. Anm. Marschner) = BtPrax 2005, 235; OLG Celle, Beschluss v. 21.12.2005 - 17 W 132/05, Vorlagebeschluss zu BGH, FamRZ 2006, 615 (vgl. hierzu unten 4.)

3. Anm. Marschher [Fn. 2], m. w. N.

4. OLG Celle, FamRZ. 2006, 443 = R&P 2005, 196 = BtPrax 2005, 235.

5. OLG Thüringen, R&P 2003, 29, anders aber OLG Thüringen, Beschlüsse v. 30.11.2005 - 9 W 627/05 u. 9 W 659/05 -, FamRZ 2006, 576: "Die Genehmigung einer zwangsweisen Heilbehandlung des Betroffenen scheitert nicht am Fehlen einer gesetzlichen Grundlage".

6. Marschner, Zwangsbehandlung in der ambulanten und stationären Psychiatrie, R&P 2005, 47 ff.

7. BGH, FamRZ 2001, 149.

8. OLG Schleswig, FamRZ 2002, 984; OLG München, FamRZ 2005, 1196 = OLGR 2005,394

9. BGH, FamRZ 2001, 149, 152.

10. Vgl. BVerfG, FamRZ 1998, 895 = NJW 1998, 1774.

11. Marschner, Zwangsbehandlung in der ambulanten und stationären Psychiatrie, R&P 2005, 47 ff.

12. BT -Drucks. 11/4528, S. 72.

13. BGH, FamRZ 2001, 149 ff= NJW 2000, 888.

14. OLG Thüringen, FamRZ 2006, 576; vgl. Fn. 5.

15. OLG Celle, FamRZ 2006, 443 = R&P 2005, 196 H: = BtPrax 2005, 235.

16. Soweit von einzelnen Gerichten mehrere verschiedene Antworten aufgrund der unter den mit Vormundschaftssachen befassten Richtern unterschiedlich geäußerten Rechtsansichten eingingen, wurden diese Antworten nach der Zahl der jeweils zustimmenden bzw. ablehnenden Richtern gequotelt und als eine Antwort berücksichtigt.

17. OLG Schleswig, FamRZ 2002, 984; OLG München, FamRZ 2005, 1196 = OLGR 2005, 394.

18. OLG Celle, FamRZ 2006, 443 = R&P 2005, 196 ff. = BtPrax 2005, 235.

19. BGH, Beschluss v. 1.2.2006 - XII ZB 236/05 -, FamRZ 2006, 615, m. Anm. Muscheler, S. 690; das OLG Celle hatte dem BGH die Sache vorgelegt (Beschluss v. 21.12.2005 - 17 W 132/05) vgl. Fn. 2.

20. Siehe dazu Luhmann, Das System des Rechts, 1994.

21. So sind schon die modifizierten Fassungen der Menschenrechte der Menschenrechtserklärung der UN von 1948, ihre Ergänzung durch die Sozialcharta 1966 und ihre ergänzende Kritik durch afrikanische und lateinamerikanische Staaten zu verstehen; vgl. auch die einschlägigen Diskussionen anlässlich der letzten weltweiten Menschenrechtskonferenz zu Wien von 1993.

Zwangsbehandlung ist ein Verbrechen !

Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 1.2.2006 mit dem Aktenzeichen XII ZB 236/05 (Absatz 27) die Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zwar gebilligt, aber dabei eine höchstrichterliche Bedingung für die unteren Gerichte gesetzt, auf deren Einhaltung wir selbstverständlich strikt und immer drängen werden. Insofern möchten wir zweierlei deutlich machen:

  • Wir meinen, dass jegliche Zwangsbehandlung in der Psychiatrie gegen den Willen eines Betroffenen ein Verbrechen ist und einen fundamentalen Verstoß gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darstellt. Das ist auch durch die Kritik von Prof. Wolf-Dieter Narr an dem Urteil belegt, die im Internet mit der Adresse www.die-bpe.de/kritik veröffentlicht ist: "Die Annahme des BGH Beschlusses ist mehrfach rechtsfehlerhaft." Aus einer Umfrage bei allen Vormundschaftsgerichten wissen wir: ein viertel der Gerichte teilt diese Meinung, allerdings werden sich viele Gerichte jetzt zur Rechtfertigung der Zwangsbehandlung auf das obiter dictum des BGH berufen.
    Mit dieser Entscheidung hat der BGH keinen Rechtsfrieden hergestellt, sondern im Gegenteil, wir werden jetzt erst recht mit allen Kräften auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (bzw. des EGMR) hinarbeiten, denn die Misshandlung durch psychiatrische Zwangsbehandlung verstößt gegen die Menschenrechte und die Würde der Betroffenen und ist ohne jede verfassungsrechtliche Grundlage.

  • Dieser Gang nach Karlsruhe wird allerdings dadurch verzögert werden, dass erst die unteren Gerichte die Bedingung des BGH erfüllen müssen, und die Erlaubnis einer Zwangsbehandlung mit einem genauen richterlichen Rezept versehen sein muss, in dem Wirkstoff, Dosierung und Verabreichungshäufigkeit genau festgelegt sind.
    Deswegen nennen wir dieses Urteil das REZEPT URTEIL, Zitat:
    "Die Sache gibt weiterhin Anlass zu dem Hinweis, dass in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betreuten zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben ist…, dazu gehören bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit."
    Ohne diese genauen Angaben ist jede psychiatrische Zwangsbehandlung auch nach der Auslegung des BGH als Körperverletzung ein schweres Verbrechen.

Jeder Betreuer, der nicht mit dem Vorwurf konfrontiert werden will, für eine menschenverachtende und grundrechtswidrige Zwangsbehandlung in einer Psychiatrie mitverantwortlich zu werden, ist aufgerufen, nie irgendeine solche Misshandlung zu genehmigen, geschweige denn anzuregen.

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
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Beschluss der Mitgliederversammlung von die-BPE am 8. 8. 2006

 

 

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