Schirmherr:
Gert Postel
Geschäftsstelle: |
Gutachterliche Stellungnahme
Ratifikation
der UN Disability Convention vom 30.03.2007 und Auswirkung auf die Gesetze
für so genannte psychisch Kranke (2. überarbeitete Fassung)
Auftraggeber:
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e. V. II. Derzeitige Gesetzeslage und Anwendungspraxis
des PsychKG Bln 1.
Gesetzeslage - §§ 1,8,9,30 PsychKG Bln Die systematische Einordnung der Vorschriften
des Gesetzes für Psychisch Kranke Berlin ist umstritten. Einerseits
wird davon ausgegangen, dass die Vorschriften für Zwangsmaßnahmen
nach dem PsychKG Bln der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr zuzurechnen
sind, um die damit einhergehenden Eingriffsbefugnisse im Rahmen von
verhältnismäßiger Abwägung restriktiv zu handhaben
[9]
. Andererseits wird ein fürsorglicher und damit
sozialrechtlicher Charakter unterstellt, um sicherzustellen, dass
alle Maßnahmen einem behandlerischem Konzept entsprechen
[10]
. Nach einer vermittelnden Ansicht soll es sich
um Recht der öffentlichen Gesundheitsfürsorge handeln, in deren Kernbereich
zum einen Vorschriften der Gesundheitsvorsorge stehen, welche durch
ein abgestuftes System von Hilfen und Schutzmaßnahmen gesichert werden
sollen
[11]
, und zum anderen sollen Teile dieser Struktur spezifische
Eingriffsbefugnisse sein
[12]
. Damit sollen Leistungs- und Eingriffsverwaltung
klar von einander abgegrenzt werden
[13]
. 2. Anwendungspraxis In der Praxis erfolgt überwiegend eine extensive
Auslegung und Anwendung von § 8 Abs. 1 PsychKG Bln.
[18]
Festzuhalten ist für das Folgende, dass
die gesetzlichen Voraussetzungen des PsychKG Bln zur Zwangsunterbringung
und Zwangsbehandlung durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägt
sind. Die Frage der Vereinbarkeit der gesetzlichen Grundlagen des
PsychKG Bln zur Zwangsbehandlung und -unterbringung mit der BRK soll
an der durch die Fachgerichte vorgenommenen Auslegung der §§
8 Abs. 1 und 30 Abs. 2 PsychKG Bln und vergleichbaren Landesrechts
gemessen werden.
[9]
Baumann, Unterbringungsrecht, Systematischer und synoptischer
Kommentar zu den Unterbringungsgesetzen der Länder, S. 23ff. m.w.N.
[10]
Göppinger, Betrachtungen zur Unterbringung psychisch
Kranker, FamRZ 1980, 856 f. (858) m.w.N.
[11]
Marschner in Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung
und Unterbringung, S. 72f.
[12]
Marschner, aaO S. 68
[13]
Storch, der "fürsorgliche" Entzug von Grundrechten -
Zulässigkeit und Grenzen einer Beschränkung der Patientenautonomie
von psychisch Kranken während einer fürsorglichen Unterbringung,
2006
[14]
PsychKG Bln Auszug: § 8 Voraussetzungen der Unterbringung (1) Psychisch Kranke können nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe
a gegen oder ohne ihren Willen nur untergebracht werden, wenn und
solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten ihr Leben, ernsthaft
ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in
erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet
werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen,
rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung. (2) Eine Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe
a darf nicht angeordnet oder muss wieder aufgehoben werden, wenn
eine Unterbringung nach § 1 Nr. 2 Buchstabe b oder nach § 81 oder
§ 126 a StPO angeordnet worden ist. § 9 Zweck der Unterbringung Zweck
der Unterbringung ist es, die in § 8 genannte Gefahr abzuwenden
und den Untergebrachten nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln. § 10 Einrichtungen (1) Die Unterbringung erfolgt in psychiatrischen Krankenhäusern,
psychiatrischen Abteilungen in einem Krankenhaus, für psychisch
Kranke geeigneten Heimen oder Teilen von solchen Heimen (Einrichtungen).
Sie wird als geschlossene Unterbringung in Einrichtungen durchgeführt,
die durch geeignete Maßnahmen gegen Entweichen des Untergebrachten
gesichert sind. Eine geeignete Maßnahme kann auch darin bestehen,
dem Untergebrachten zu untersagen, die Einrichtung zu verlassen. (2) Das für das Gesundheitswesen zuständige Mitglied des
Senats bestimmt die an der Unter-bringung beteiligten Einrichtungen
und beleiht sie mit hoheitlicher Gewalt. Sie unterliegen der Fachaufsicht
des zuständigen Bezirksamtes; § 89 Abs. 2 des Gesetzes über die
Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz - BerlHG -)
vom 12. Oktober 1990 (GVBl. S. 2165), zuletzt geändert durch Gesetz
vom 21. Dezember 1993 (GVBl. S. 649), bleibt unberührt. (3) Die an der Unterbringung beteiligten Einrichtungen
müssen so gegliedert und ausgestattet sein, dass eine auf die unterschiedlichen
Anforderungen abgestimmte Behandlung ermöglicht und die Wiedereingliederung
der Untergebrachten gefördert wird. Es müssen insbesondere die Voraussetzungen
für eine offene und geschlossene Unterbringung sowie für eine gesonderte
Behandlung Jugendlicher und Heranwachsender vorliegen. (4) Soweit nach diesem Gesetz die Mitwirkung oder die
Entscheidung der Einrichtung vorgesehen ist, ist für diese der zuständige
leitende Arzt verantwortlich.
[15]
PsychKG Bln Auszug: § 1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz regelt 1. Hilfen für psychisch Kranke, soweit sie geeignet sind,
eine Unterbringung zu vermeiden, 2. die Unterbringung a) von psychisch Kranken nach diesem Gesetz, b)
von psychisch Kranken, die nach § 63 Abs. 1, § 64 des Strafgesetzbuches
sowie § 7 des Jugendgerichtsgesetzes untergebracht sind. (2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen,
die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen
einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle
einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden und bei denen
ohne Behandlung keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht. (3) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf geistig behinderte
Personen, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung
besteht. § 2 Fürsorgegrundsatz Bei
allen Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes ist auf das Befinden des
psychisch Kranken besonders Rücksicht zu nehmen und sein Persönlichkeitsrecht
zu wahren.
[16]
vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 PsychKG Bln
[17]
PsychKG Bln Auszug: § 30 Behandlung (1) Der Untergebrachte hat Anspruch auf die notwendige
Behandlung. Die Behandlung schließt die dazu notwendigen Untersuchungen
sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische
und psychotherapeutische Maßnahmen ein. Die Behandlung wegen der
Erkrankung, die zu seiner Unterbringung geführt hat, erfolgt nach
einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Untergebrachten
und auf seinen Wunsch mit seinem gesetzlichen Vertreter erörtert
werden. (2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen des Einvernehmens mit
dem Untergebrachten oder seinem gesetzlichen Vertreter. Unaufschiebbare
Behandlungsmaßnahmen hat der Untergebrachte zu dulden, soweit sie
sich auf die Erkrankung, die zu seiner Unterbringung geführt hat,
beziehen. Der Rechtsanwalt des Untergebrachten ist unverzüglich
zu informieren. (3) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren nach
Absatz 2 Satz 2, die mit Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr
für die Gesundheit verbunden sind, dürfen nur mit rechtswirksamer
Einwilligung des Untergebrachten oder, falls er die Bedeutung und
Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann,
des gesetzlichen Vertreters in den persönlichen Angelegenheiten
vorgenommen werden. (4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten
in ihrem Kernbereich ändern würde, ist unzulässig.
[18]
so beispielsweise LG Berlin Beschluss vom 20.02.2007,
83 T XIV 12/07 L; AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschluss vom 12.02.2007,
51 XIV 8/07 L; KG, Beschluss vom 06.03.2007, 1 W 92/07; exemplarisch
auch BVerfG Beschluss vom 23.03.1998, 2 BvR 2270/96, durch welchen
eine bis zum OLG Naumburg bestätigte Unterbringung nach dem PsychKG
Sachsen-Anhalt aufgehoben wurde
[19]
Baummann, Unterbringungsrecht, Seite 286 ff
[20]
vlg. OLG Celle NJW 1963, 2377; OLG Hamm NJW 1959, 822
[21]
vgl. OLG Hamm NJW 1960, 1392; R & P 2000, 84
[22]
Volckart in Marschner/Volckart, S. 51
[23]
Volckart, aaO, S. 53
[24]
Böker/Häfner, Gewalttaten Geistesgestörter - Eine psychiatrisch-epidemiologische
Untersuchung in der BRD
[25]
vgl. OLG Schleswig, R & P 1999, 181; Dodegge NJW
1987, 1910 ff. m.w.N.
[26]
Volckart in Marschner/Volckart, S. 57f geht davon aus,
dass der Anteil der falschen Prognosen sicher über 50% liegt
[27]
Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 1995, Rn. A 109; Volckart,
Maßregelvollzug, 1998, S. 70
[28]
BVerfG NJW 1983, 2627
[29]
Volckart, aaO, S. 54
[30]
Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung,
3. Auflage, § 70h FGG, Rn. 1
[31]
Oldenburg, Die Rolle einstweiliger Unterbringungsanordnungen
im Recht der gefahrenabwendenden Freiheitsentziehungen, 2002, S.
49, 52f.
[32]
Oldenburg, aaO, S. 49-54, für Berlin wurde eine Quote
von ca. 95 % ermittelt, für NRW 94 %
[33]
Oldenburg, aaO, für Hauptsachenentscheidungen in Berlin
war eine Auskunft nicht möglich. Genauere Untersuchungen in NRW
ermitteln für 598 Verfahren lediglich 22 Hauptsachenentscheidungen;
auf Bayern und Baden-Württemberg entfiel auf 87 und 136 Unterbringungsverfahren
insgesamt eine einzige Hauptsachenentscheidung.
[34]
Oldenburg, aaO, S. 56ff.
[35]
OLG Hamm NJW 1960, 1392; OLG Schleswig, R&P 1999,
181
[36]
Dodegge, Das Unterbringungsverfahren, NJW 1987, 1910,
1914f.; Parensen, Die Unterbringung Geistes- und Suchtkranker in
NRW, S. 172ff.
[37]
vgl. Baummann, Unterbringungsrecht, S. 290; Marschner
aaO, Rd.Nr. 126, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative PsychKG Bln
[38]
OLG Celle NJW 1963, 2377
[39]
Janzarik, Die Beurteilung psychisch Kranker im Unterbringungsverfahren,
NJW 1959, 2287
[40]
Bsp. etwa KG, NJW 1961, 2066
[41]
vgl. KG, Beschluss vom 29.08.2007 -2 Ws 66/07 Vollz-,
worin die zwangsweise Verabreichung eines Neuroleptikums trotz erheblicher
Nebenwirkungen und möglicher Spätfolgen keine erhebliche Gefahr
für die Gesundheit darstellen soll, vgl. auch KG, NStZ-RR 1997,
351, 352
[42]
vgl. Bohnert, S. 121 |