Sendung des "Dissidentenfunk" zum Thema mit Interviews mit dem OLG Celle und dem Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte
Das Urteil im rtf Format zum downloadenOLG Celle Urteil gegen Zwangsbehandlung:
ein fantastischer Sieg der Grundrechte:
"...ist eine Zwangsbehandlung auf betreuungsrechtlicher Grundlage rechtlich nicht zulässig und daher nicht genehmigungsfähig."Ein erläuternder Kommentar zu dem Urteil von
R.A. Thomas Saschenbrecker,
Rechtsexperte im Betreuungs- und Unterbringungsrecht:Das Urteil ist in zweifacher Hinsicht von weitreichender und für das Betreuungsrecht tragender Bedeutung:
Zum einen wird eine zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika und anderen Medikamenten im Rahmen einer stationären Unterbringung ausgeschlossen, wenn der erklärte Wille des Betroffene entgegensteht, womit insbesondere eine Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung nur noch dann möglich sein wird, wenn der Betroffene generell in eine solche Therapie einwilligt.
Zum anderen wird die Privatautonomie eines Betroffene nochmals im Anschluss an die gesetzlichen Neuregelungen zum Betreuungsrecht erheblich gestärkt. Der so schon im Vorfeld vor einer anstehenden psychiatrischen Behandlung geäußerte Wille eines Betroffenen in einer Vorsorgevollmacht oder einer Patientenverfügung ist für die behandelnden Ärzte verbindlich und muss künftig auch in Gutachten zu Fragen des Betreuungsrechts, die vom Gericht in Auftrag gegeben werden, hinreichend berücksichtigt werden.
In Zukunft werden sich auch behandelnde Ärzte in psychiatrischen Anstalten genau damit auseinandersetzen zu haben, was auch der aufgrund eines Gerichtsbeschlusses untergebrachte Patient wünscht und ablehnt. Zwangsbehandlung ohne bzw. gegen den erklärten Willen eines Betroffenen dürften mit diesem Urteil abschließend ausgeschlossen sein.
Die häufig gerade im Betreuungsrecht kritisierte allumfassende Vernunftshoheit der Ärzte als "Richter in Weiß" gehört damit endgültig der Vergangenheit an und auch der "psychiatrische Patient" kann sich erfolgreich auf seine Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit berufen. Verhaltensweisen der Ärzte gegen den erklärten Willen eines Patienten etwa durch Anwendung von Zwang zur Verabreichung von Medikamenten werden künftig ein Korrektiv dahingehend erfahren, dass sich behandelnden Ärzte in einem solchen Fall, wie sonst in der Medizin üblich, dem Verdacht eines strafbaren Handelns aussetzen.
Von gewisser Tragweite wird die Entscheidung auch hinsichtlich der künftigen Kostentragung stationärer psychiatrischer Behandlung sein. Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch private und gesetzliche Krankenkassen als Kostenträger ist stets ein therapeutisch-pharmakologischer Ansatz bei der Behandlung einer Krankheit. Soweit ein Patient Therapien ablehnt, die nach ärztlichem Dafürhalten veranlasst wären, kommt eine Kostentragung nicht mehr in Frage.
Dann aber werden stationäre Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten gegen den Willen des Patienten ohne pharmakologische Therapie auf Dauer drastisch verkürzt, da zunehmend festzustellen sein wird, dass die Krankenkassen im Hinblick auf die ohnehin hohen Kosten im Gesundheitswesen und im besonderen auf dem psychiatrischen Bereich Zahlungen für Aufenthalte mit reinem Verwahrcharakter eines Patienten verweigern werden.
30.9.2005 Thomas Sachenbrecker
Dieser erfreuliche Zusammenbruch des psychiatrischen System war schon 2003 befürchtet worden, wie es der Bericht der niedersächsischen Besuchskommison auf Seite 10 offenbart: http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C3878667_L20.pdf
Zitat daraus
Auf Anregung einer Autorengruppe, bestehend aus leitenden Mitarbeitern der Medizinischen Hochschule Hannover und Vormundschaftsrichtern des Amtsgerichts Hannover, hat sich der Ausschuss mit der Frage der Zwangsbehandlung im Rahmen von Betreuungen beschäftigt. Ausgangspunkt ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2000 (Az. XII ZB 69/00), nach der eine ambulante Zwangsbehandlung im Rahmen einer Betreuung unzulässig ist.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung hat die Autorengruppe zu Recht auf eine erhebliche Rechtsunsicherheit für den Bereich der stationären Zwangsbehandlung hingewiesen. Während ein Teil der Rechtsprechung die stationäre Zwangsbehandlung im Rahmen einer Betreuung unter bestimmten Umständen für rechtmäßig erachtet, gehen andere - unter Berufung auf die BGH Entscheidung insoweit von der vollständigen Unzulässigkeit von stationären Zwangsbehandlungen aus. Eine Klärung dieser wichtigen Streitfrage wird voraussichtlich erst durch eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu erwarten sein. Ggf. wird aber auch eine Regelung dieser Frage durch den Bundesgesetzgeber im Rahmen des vom Bundesrat in den Bundestag eingebrachten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes erfolgen (vgl. dort § 1906a).Genau eine solche Änderung des Betreuungsrecht wurde von allen Parteien des Bundestages abgelehnt und damit positiv ein Votum gegen Zwangsbehandlung als solche vom Vertreter des Souveräns ausgesprochen - Hurra!
(Für die Medien: wir vermitteln gerne Interviews mit dem Kläger, der dieses Urteil durch das beharrliche Bestehen auf seine Grundrechte erwirkt hat)
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W 37/05 5 T 119/05 Landgericht H. 72 XVII F 447 Amtsgericht H.
In der Betreuungssache betreffend
- Betroffener und Führer der weit.sof. Beschwerde - Verfahrensbevollmächtigte: Beteiligte : 2. S. J., xxx Straße
xx, xxxx H., 3. Landeskrankenhaus
H., xxxx Straße xx, xxxx H., wegen Genehmigung einer Zwangsmedikation hat der 17. Zivilsenat
des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht M.-V.
und den Richter am Oberlandesgericht D. auf die weitere sofortige Beschwerde
des Betroffenen vom 12. April 2004 gegen den Beschluss des Landgerichts
H. vom 24. März 2005 am 10. August 2005 beschlossen:
Gründe : I. Am 4. März 2005
beantragte der Betreuer des damals mit gerichtlicher Genehmigung (BI.129
d.A.) bereits auf einer geschlossenen Station des Landeskrankenhaus H.
untergebrachten Betroffenen die gerichtliche Genehmigung einer zwangsweisen
Behandlung des Betroffenen durch das Neuroleptikum Zeldox (Blatt 161).
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 8. März 2005 zu diesem Antrag
angehört (BI.166 d.A.). Der Betroffene hat im Rahmen eines ausführlichen
Anhörungsgesprächs erklärt, jede Behandlung im Niedersächsischen
Landeskrankenhaus H. abzulehnen. Die Patientenverfügungen waren u.a.
Gegenstand der Anhörung. Am 22. März 2005 wurde der Betroffene
erneut durch das Amtsgericht H. angehört (BI.180 d.A.). Aus dem Anhörungsprotokoll
ergibt sich, dass er bis dahin nicht mit Neuroleptika behandelt, aus ärztlicher
Sicht jedoch weiterhin dringend behandlungsbedürftig angesehen wurde.
Eine Entlassung sei nicht vertretbar, da damit gerechnet werden müsse,
dass der Patient sich gefährde und sich sein Gesundheitszustand weiter
verschlechtere. II. a) Entgegen
der den Beschlüssen stillschweigend zugrunde liegenden Auffassungen
des Amtsgerichts und Landgerichts H. ist eine Zwangsbehandlung
auf betreuungsrechtlicher Grundlage rechtlich nicht zulässig und
daher nicht genehmigungsfähig. In seiner Entscheidung vom 11. Oktober 2000 verlangt der Bundesgerichtshof (a.a.O, S. 152) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für jede Zwangshandlung gegen den Widerstand des Betreuten eine ausdrückliche Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Soweit dieses formelle Gesetz teilweise in der Regelung des § 1906 Abs.1 Nr.2 bzw. 1906 Abs.4 BGB gesehen wird, überzeugt diese Auffassung nicht. Der sprachlich eindeutige Gesetzestext enthält nur die Befugnis zur Unterbringung bzw. unterbringungsähnlichen Maßnahmen nicht jedoch auch die Befugnis zur - gemessen an der Eingriffintensität - deutlich schwerwiegenderen Zwangsbehandlung. Zwar hätte es durchaus eine innere Logik, dass derjenige der zu Behandlungszwecken gemäß § 1906 Abs.1 Nr.2 BGB geschlossen untergebracht wird, dort-auch gegen seinen Willen behandelt werden darf. Dieser Logik ist der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes jedoch ausdrücklich nicht gefolgt und hat von der gesetzlichen Regelung der Zwangsbehandlung ausdrücklich abgesehen (BT-Drs.11/4528, S.72). Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch die Zwangsbefugnisse für den Betreuer geregelt und in § 70g Abs.5 FGG die Befugnis zur Gewaltanwendung nur für die Zuführung zur Unterbringung nicht jedoch auch zur Durchsetzung einer Behandlung vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist dem OLG Thüringen darin zuzustimmen, dass die Regelung des § 1906 BGB nicht als hinreichende formelle Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung angesehen werden kann (R&P 2003,29). Da vorliegend einen andere Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung (z.B. § 21 Abs.3 NPsychKG) nicht ersichtlich ist, ist die Rechtswidrigkeit der Zwangsbehandlung des Betroffenen festzustellen. b) Die vorstehende Rechtsfrage kann jedoch letztlich dahinstehen und somit eine Vorlage nach § 28 Abs.2 FGG an den Bundesgerichtshof unterbleiben, da die Entscheidung des Landgerichts H. auch unter Zugrundelegung der Gegenauffassung (der grundsätzlichen Zulässigkeit einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung) aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft ist. Die Entscheidung des Landgerichts ist nämlich unter Verstoß gegen den geltenden Amtsermittlungsgrundsatz zustande gekommen. Nach § 12 FGG ist das Gericht auch im Beschwerdeverfahren (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, 15. Aufl., § 12 Rdnr.63) von Amts wegen verpflichtet, die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen. Dieser Grundsatz gilt gemäß §§ 70 Abs.3, 69g Abs.5 FGG auch im Unterbringungsverfahren. Der weiteren Beschwerde ist darin zuzustimmen, dass schon der technische Ablauf einer medikamentösen Zwangsbehandlung (Festhalten bzw. Festschnallen des Patienten durch eine Übermacht von Pflegekräften und Verabreichung einer Spritze mit Medikamenten, die teilweise mit erheblichen, ihrerseits behandlungsbedürftigen Nebenwirkungen verbunden sind) überdeutlich macht, dass diese mit erheblichen Grundrechtseingriffe verbunden ist. Alle Vertreter der grundsätzlichen Zulässigkeit einer betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung setzen daher für die Genehmigung einer solchen Maßnahme stets eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus (z.B. OLG Schleswig FamRZ 2002,985). Ohne einen umfassend aufgeklärten und festgestellten Sachtverhalt ist eine solche Verhältnismäßig-keitsprüfung jedoch nicht möglich. Ein so hinreichend ermittelter Sachverhalt lässt sich jedoch weder aus den vom Amts- und Landgericht getroffenen Feststellungen noch aus dem sonstigen Akteninhalt entnehmen. Aus den vom Gericht getroffenen Feststellungen sowie aus den Akten lässt sich z.B. nicht feststellen, wie schwer das konkrete Krankheitsbild zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme und zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung war und welche, wie nachhaltige Besserung zu erwartet werden konnte. Aus dem Anhörungsprotokolls ergibt sich lediglich die ärztliche Feststellung, dass der Patient weiterhin dringend behandlungsbedürftig und seine Entlassung nicht vertretbar sei, weil (dann) seine Gefährdung nicht auszuschließen sei. Weder ist ein genauer Grund der akuten Gefährdung erkennbar noch wird deutlich, was konkret bei einer Entlassung für den Betroffenen zu befürchten gewesen wäre. Ungeklärt ist zudem die Frage geblieben, ob dem Betroffenen bei Fortdauer der Unterbringung in dem geschützten Rahmen des Landeskrankenhauses ohne medikamentöse Zwangsbehandlung gewichtige Gesundheitsschäden gedroht hätten. So lässt sich z.B. aus den Akten nicht entnehmen, ob der Betroffene auch in der Klinik weiterhin, die Aufnahme von Essen und Trinken verweigert hat. Die Formulierungen in den Protokollen deuten eher darauf hin, dass insoweit wohl eine - in ihren Ausmaßen allerdings völlig unklare - Besserung eingetreten ist. Schließlich wäre für die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung auch zu klären gewesen, mit welchen Nebenwirkungen bei dem beabsichtigten Neu-roleptikum zu rechnen war. Dies gilt vorliegend schon deswegen im besonderen Maße, als der Betroffene bei Vorbehandlungen mit Neuroleptika unter erheblichen Nebenwirkungen gelitten hatte. Zu Recht beanstandet die Beschwerde darüber hinaus, dass das Landgericht das Vorliegen einer wirksamen und damit auch zu beachtenden Patientenverfügung nicht in ausreichenderweise aufgeklärt habe. Maßstab für die vom Gericht ggf. zu genehmigende Entscheidung des Betreuers, einer Zwangsgenehmigung zuzustimmen, ist § 1901 BGB. Entscheidend ist danach der erklärte Wunsch des Betroffenen (1901 Abs.3 S.1 und 2 BGB). Im vorliegenden Fall somit ggf. die vorliegenden schriftlichen Verfügungen des Betroffenen. Deren Wirksamkeit und Reichweite hätte folglich aufgeklärt werden müssen. Das ist jedoch nicht geschehen. Das ärztliche Gutachten des Landeskrankenhauses H. (dort S.2, BI.170 d.A.) nimmt lediglich zu der (ersten) Patientenverfügung des Betroffenen vom 22. Juli 2004, nicht jedoch auch zu der späteren Verfügung vom 4. Oktober 2004 Stellung. Die ärztliche Stellungnahme im Rahmen der Anhörung des Betroffenen am 22. März 2005 (BI.180 d.A.) ist so unbestimmt und nur auf Teilbereiche der Verfügung vom 4. Oktober 2004 bezogen, dass sie in keiner Weise ausreicht, zureichende Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Verfügung vom 4. Oktober 2004 zu ziehen. Die Wirksamkeit der beiden - ggf. maßgeblichen - Verfügungen des Betroffenen ist somit völlig unklar geblieben. c) Um der 5. Zivilkammer des Landgerichts H. die Gelegenheit zu geben, die weiteren notwendigen Ermittlungen nachzuholen und sodann auf ausreichender Tatsachengrundlage erneut zu entscheiden, ist die angefochtenen Entscheidung aufzuheben und das Verfahren zurückzuverweisen. III. B. |