Schirmherr:
Gert Postel
Geschäftsstelle: |
C II Unmittelbare
Geltung der BRK für die Frage der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung
des Beschwerdeführers Es stellt sich die Frage, ob der festgestellte
Verstoß gegen Art. 12 Abs. 2 BRK eine Verletzung subjektiver Rechte
des Beschwerdeführers und darüber hinaus grundsätzlich eine Verletzung
der Rechte von Menschen, die aufgrund einer diagnostizierten psychischen
Erkrankung zwangsbehandelt werden in der Bundesrepublik Deutschland
unmittelbar bewirkt. Die BRK ist gem. Art. 26 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 [cxiv] , welcher seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts abbildet, mit der Ratifikation für die Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu den anderen Signatarstaaten verbindlich. Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet, die sich aus der BRK ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Das bedeutet gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 lit. a), b) und d) BRK konkret, dass sie alle geeigneten Maßnahmen zur Umsetzung der in der BRK anerkannten Rechte zur treffen und Diskriminierungen zu beseitigen hat. Damit ist noch nichts über die Art und Weise der Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt. Diese wird nicht völkerrechtlich vorgegeben, sondern ergibt sich aus der bundesrepublikanischen Rechtsordnung. Mit dem Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ist nur die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns im völkerrechtlichen Verkehr gewährleistet [cxv] , nicht etwa die für Grundrechtseingriffe oder die Änderung bestehender Gesetze erforderliche Umsetzung in Gesetzesform bereits erfolgt. Da eine Umsetzung der BRK nach der vorstehend entwickelten Auffassung die Aufhebung oder Änderung des MVollzG Rh-Pf sowie anderer Maßregelvollzugsgesetze und Psychisch-Kranken-Gesetze der Länder erfordert, ist innerstaatlich eine Änderung der Gesetzeslage vorzunehmen. Damit sind zugleich die rechtlichen Mechanismen der Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Beachtung der BRK in nationales Recht vorgezeichnet: Wo die Bundesrepublik Deutschland im Außenverhältnis zur Umsetzung verpflichtet ist, sind die Gesetzgeber im Innenverhältnis aufgerufen, entgegenstehendes nationales Recht - mithin die Psychisch-Kranken-Gesetze - an die BRK anzupassen [cxvi] Die Anpassung der für den Maßregelvollzug geltenden Gesetze ist demnach grundsätzlich Sache der Bundesländer. Soweit
und solange die zur Anpassung der Maßregelvollzugsgesetze an die Vorgaben
der BRK berufenen Gesetzgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommen,
ist die BRK gleichwohl im völkerrechtlichen Außenverhältnis verbindlich
(Art. 27 Abs. 1 WVK) wie Bestandteil des nationalen Rechts. Die Betroffenen
können sich bei Ermangelung einer ausdrücklichen Anpassung der Gesetzeslage
allerdings nur unmittelbar auf die BRK berufen, soweit diese ihren Sinn
und ihrem Text nach unmittelbar anwendbar ("self-executing") ist. Die
unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Verpflichtung im
Sinne von Vollzugsfähigkeit erfordert, dass der Normadressat eindeutig
bezeichnet und die Vorschrift inhaltlich derart bestimmt ist, dass sie
ohne weiteren Umsetzungsakt angewandt werden kann.
[cxvii]
Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche
Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24
GG) fest und bindet sie darüber hinaus an das Völkervertrags- (Art.
20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und Völkergewohnheitsrecht
(Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 25 GG). Es ist Ausdruck der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dass dieses nach Möglichkeit
so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen
der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Hieraus ergibt sich eine
verfassungsunmittelbare Pflicht der deutschen Gerichte, einschlägige
Vereinbarungen zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits
mehrfach mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes
befasst
[cxviii]
. Es hat festgestellt, dass diese verfassungsunmittelbare
Berücksichtigungspflicht, die auch bei der Anwendung der Grundrechte
zum Tragen kommt
[cxix]
, nicht für jede Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen
ist, sondern nur, soweit dies von dem in den Art. 23 bis 26 GG sowie
in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept
des Grundgesetzes verlangt wird
[cxx]
. Art. 12 BRK, der in der deutschen Rechtsordnung
damit im Range eines Bundesgesetzes gilt, enthält Vorgaben, die
unmittelbar für den deutschen Maßregelvollzug relevant sind,
wenn - wie vorliegend - Menschen mit Behinderung zu einer medizinischen
Behandlung gezwungen werden sollen. Die Norm ist hinreichend bestimmt,
um von den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar angewendet zu werden;
sie bedarf keiner Ausführungsgesetzgebung, sondern ist self-executing
[cxxi]
. Art. 12 Abs. 1 BRK ist seinem Inhalt nach ebenfalls keine Selbstverständlichkeit in der Völkerrechtsgemeinschaft und war dementsprechend umstritten [cxxii] . Die von den Vertragsstaaten ausgesprochene deklaratorische Bekräftigung der Rechtsfähigkeit von behinderten Menschen im Sinne der BRK gibt gleichwohl zu erkennen, dass ein voraussetzungsloser, wenn auch nicht ohne die Ausgestaltung der Rechtssubjektivität durch die jeweiligen Rechtsordnungen denkbarer Anspruch auf Anerkennung als rechtsfähige Person bestehen soll. Art. 12 Abs. 2 BRK schließt seinem Wortlaut nach nicht an eine gleichsam vorgefundene Rechtsfähigkeit an, sondern verpflichtet die Vertragsstaaten auf die Anerkennung der gleichberechtigten legal capacity. Dieser Anerkennungsauftrag ist dem Wortlaut der Vorschrift nach nicht von Maßnahmen der Vertragsstaaten abhängig, sondern als unmittelbar zu beachtende Verpflichtung ausgestaltet. Art. 12 Abs. 1 und 2 BRK erweisen sich damit als self- executing [cxxiii] . Damit erweist sich das nach der dargelegten Auffassung bestehende Verbot der Zwangsbehandlung nach Art. 12 Abs. 2 BRK als unmittelbar ausführbar. Zwischenergebnis Die Behandlung von sog. psychisch kranken Untergebrachten,
die Menschen mit Behinderung im Sinne der BRK darstellen, gegen ihren
erklärten Willen verstößt gegen Art. 12 Abs. 2 BRK, der ohne weitere
gesetzliche Umsetzung direkte Anwendung findet. Die Zwangsbehandlung
des Beschwerdeführers ist demnach, genau wie die von den Fachgerichten
angewandte Rechtsgrundlage dafür nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 MVollzG
Rh-Pf, auch aus diesem Grund verfassungswidrig.
[cxiv]
BGBl. 1985 II, 927.
[cxv]
BVerfG, NJW 1994, 2207 (2211) m.w.N = BVerfGE
90, 269 ff. [cxvi] vgl. auch Art. 4 Abs. 1 S. 2 lit. a), b) und d) BRK. [cxvii] BVerfG, B.v. 15.02.2006, 2 BvR 1476/03, Abs. Nr. 21 = NJW 2006, 2542 (2543); BVerfG, B.v. 19.09.2006, 2 BvR 2115/01 u.a., Abs.Nr. 53 = NStZ 2007, 159 (160); Dahm/ Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, 2. Aufl. Berlin 1989, § 9 Rn 192. [cxviii] vgl. BVerfG, 2 BvR 2115/01 B. vom 19.9.2006; BVerfGE 111, 307 (315 ff.) jeweils m.w.N. [cxix] BVerfGE 111, 307 (329). [cxx] BVerfGE 112, 1 (25). [cxxi] vgl. BVerfG, 2 BvR 2115/01 B. vom 19.9.2006 zu Art. 36 WÜK unter Berufung auf den Supreme Court of the United States, Sanchez-Llamas v. Oregon, Dissenting Opinion Justice Breyer of 28 June 2006 - No. 04-10566; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43 (2005), S. 312 (318). [cxxii] Lachwitz, aaO, S. 42. [cxxiii] dieser Einschätzung wird auch von der DGPPN nicht entgegengetreten, vgl. Olzen aaO; zustimmend insoweit ebenfalls Baufeld, aaO.
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