1. Der Gesetzesentwurf der § 8 UBG n.F.
Die Behandlung
mit Neuroleptika gegen den Willen eines Patienten kann auf verschiedenen
Rechtsgrundlagen beruhen, zum einen betreuungsrechtlich auf §§ 1904,
1906 BGB, zum anderen öffentlich-rechtlich, entweder auf landesrechtlichen
Unterbringungsgesetzen, hier dem UBG oder wie in vielen Bundesländern
auf Vorschriften zum Maßregelvollzug.
Grundsätzlich
sind etwaige betreuungs- und öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen
für Zwangsmedikationen voneinander zu unterscheiden. Weil aber
auch Betreuer im Innenverhältnis zu Betreuten öffentlich-rechtliche
Befugnisse wahrnehmen, betreffen beide die Frage nach den Grenzen
hoheitlicher Gewalt bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit
durch Zwangsmedikation mit Neuroleptika.
Gegenständlich für die Regelungen des UBG sind öffentlich-rechtliche
Eingriffstatbestände.
Das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,
Familie und Senioren plant in Hinblick auf den Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 12.10.2011 § 8 Abs. 2 S. 2 UBG für nichtig und mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel
19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar erklärt hat
[i]
eine Neufassung des § 8 UBG das neben anderen formellen Regelungen auch
eine gesetzliche Regelung der Zwangsmedikation im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen
Unterbringung bzw. der ärztlichen bzw. psychiatrischen Heilbehandlung
mit Neuroleptika auch gegen den Willen eines Betroffenen zum Gegenstand
hat.
Ziel der geplanten Gesetzesnovellierung ist, die Zwangsmedikation von nach
dem UBG untergebrachten Personen auf eine gesetzliche Grundlage zu
stellen und hierbei den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes,
wie sie in den beiden jüngsten Entscheidungen zur Zwangsmedikation
zum Ausdruck kommen, Rechnung zu tragen.
Der Entwurf § 8 UBG neue Fassung lautet wie folgt (Stand
02.01.2012):
§ 8 UBG
(1)
Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung
untergebracht ist hat Anspruch auf die notwendige Behandlung. Die
Behandlung umfasst auch Maßnahmen,
die erforderlich sind, um der untergebrachten Person nach ihrer Entlassung
ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
(2)
Die Behandlung bedarf der Einwilligung der untergebrachten
Person. Die Einwilligung muss
auf dem freien Willen der insoweit einwilligungsfähigen und ärztlich
angemessen aufgeklärten untergebrachten Person beruhen.
Die Aufklärung soll dem Ziel dienen, dass die untergebrachte
Person der Behandlung zustimmt.
(3)
Die Einwilligung der untergebrachten Person ist dann
nicht erforderlich, wenn
a. sie krankheitsbedingt zur Einsicht
in die Behandlungsbedürftigkeit der Krankheit, wegen derer ihre
Unterbringung notwendig ist, oder zum Handeln gemäß solcher
Einsicht nicht fähig ist und die Behandlung dazu dient, die tatsächlichen
Voraussetzungen freier Selbstbestimmung der untergebrachten Person wiederherzustellen, um ihr ein selbstbestimmtes, in der Gemeinschaft
eingegliedertes Leben in Freiheit zu ermöglichen oder
b. die Behandlung dazu dient, eine
Lebensgefahr oder eine akute schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit
der untergebrachten Person abzuwenden.
Die Behandlung nach Satz 1 muss im
Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt,
Erfolg versprechen. Sie darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel, insbesondere eine weniger eingreifende Behandlung,
aussichtslos sind. In den Fällen von Satz 1 a) muss ihr
der Versuch einer ernsthaften ärztlichen Aufklärung der
betroffenen untergebrachten Person vorausgegangen sein,
der darauf zielt, deren auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu
erreichen; in den Fällen von Satz 1 b) soll eine solche
ärztliche Aufklärung erfolgen, sofern die Umstände
diese zulassen. Die für die untergebrachte Person mit der Behandlung
einhergehenden Belastungen dürfen nicht außer Verhältnis
zu dem erwartbaren Nutzen stehen.
(4)
Eine Behandlung nach Absatz 3 darf nur auf Anordnung
und unter Überwachung einer Ärztin oder eines Arztes durchgeführt
werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, dass
eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit
einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. Die Behandlungsmaßnahmen
sind zu dokumentieren.
(5)
Eine Behandlung nach Absatz 3 ist nur mit Zustimmung
des Betreuungsgerichts zulässig. Dies gilt nicht in den Fällen
von Absatz 3 Satz 1 b), wenn hierdurch die Behandlung verzögert
würde und sich hieraus Nachteile für das Leben und die Gesundheit
der untergebrachten Person ergeben würden ("Gefahr im Verzug").
(6)
Eine Behandlung nach Absatz 3 muss der untergebrachten
Person so rechtzeitig angekündigt werden, dass sie diese vor
Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugend gerichtlich überprüfen
lassen kann. Dies gilt nicht in den Fällen von Absatz 3 Satz
1 b), wenn durch die Notwendigkeit der Ankündigung die Behandlung
verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das
Leben und die Gesundheit der untergebrachten Person ergeben würden
("Gefahr im Verzug"). Die Ankündigung muss in einer
Weise konkretisiert sein, die die Wahrung der Verhältnismäßigkeit
des Eingriffs sichert und eine hierauf gerichtete gerichtliche Überprüfung
ermöglicht; insbesondere muss sie auch die vorgesehene Dauer
der Maßnahme nennen. Satz 1 und 3 gelten auch dann, wenn die
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt.
(7)
Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen
Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben
oder Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der
Einwilligung der untergebrachten Person vorgenommen werden.
(8)
Ist in den Fällen von Abs. 7 und bei sonstigen Erkrankungen
die untergebrachte Person nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite
der Untersuchung oder Behandlung einzusehen oder ihren Willen nach
dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung ihres gesetzlichen
Vertreters erforderlich. Besitzt die untergebrachte Person die in
Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist sie aber geschäftsunfähig oder beschränkt
geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung der untergebrachten
Person die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.
(9)
Liegt eine wirksame Patientenverfügung der zu behandelnden
Person vor, durch die eine Behandlung nach Absatz 3 ausgeschlossen
ist, geht die Patientenverfügung vor.
2. Die bisherige Gesetzeslage des
§ 8 UBG
§ 8 UBG
in der bislang gültigen Fassung 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt
für Baden-Württemberg Seite 794) lautet wie folgt:
§ 8 Heilbehandlung
(1)
Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung
untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die
Heilbehandlung umfasst auch Maßnahmen, die erforderlich sind,
um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches
Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
(2)
Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung
oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs-
und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der
ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen
und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter
Absatz 3 fällt.
(3)
Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen
Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben
oder Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der Einwilligung des Untergebrachten
vorgenommen werden.
(4)
Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes
3 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Untersuchung
oder Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht
zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters
maßgeblich. Besitzt der Untergebrachte die in Satz 1 genannten
Fähigkeiten, ist er aber geschäftsunfähig oder beschränkt
geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung des Untergebrachten
die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.
Bislang wurde § 8 und insbesondere der dortige Absatz 3 UBG in Verbindung
mit § 15 Abs. 1 UBG von der Landesregierung Baden-Württemberg
auch in deren Stellungnahme zum Bundesverfassungsgericht als ausreichende
Eingriffsgrundlage auch für eine Behandlung gegen den Willen
eines Betroffenen mit Neuroleptika gesehen.
Eine Untersuchung oder Behandlung bedurfte nach dieser Ansicht "nur
dann der Einwilligung des Untergebrachten, wenn sie einen operativen
Eingriff erfordere oder mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder
Gesundheit verbunden" sei. Beides sei bei einer Medikation mit Neuroleptika
nicht der Fall. Eine Einwilligung in eine solche Zwangsbehandlung
sei daher nicht erforderlich. Bei Neuroleptika handele es sich um
"eine der weltweit am häufigsten verordneten Medikamentengruppen,
bei denen der Nutzen bei weitem etwaige seltene ernstere Risiken überwiege".
Für eine entsprechende
Medikation gegen den Willen genüge als Eingriffsnorm § 15 Abs.
1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG, da die Krankheit eines
Patienten mit der avisierten Medikation behandelt werden könne.
Eine zwangsweise
Verabreichung der Medikamente sei insbesondere dann angezeigt, wenn
der Patient ohne die Medikation krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig
sei und der Eingriff darauf abziele, die tatsächlichen Voraussetzungen
freier Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen.
Ohne Medikation
sei mit einer unabsehbar langen Verweildauer eines Patienten in der
Psychiatrie bzw. im Maßregelvollzug, in jedem Falle in Unfreiheit,
zu rechnen. Dem solle mit der Zwangsmedikation entgegengewirkt werden.
Bei der Behandlung werde durch die Ärzte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
beachtet. Die Zwangsmedikation erfolge nur dann, wenn weniger einschneidende
Maßnahmen - wie beispielsweise eine Psychotherapie - zu keinen
oder nur zu geringen Fortschritten bei der Behandlung der Krankheit
führten und die medikamentöse Behandlung damit ein geeignetes
und im Hinblick auf den Erfolg das mildeste Mittel sei.
[ii]
3. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
zur Nichtigkeit der Eingriffsgrundlagen
Das Bundesverfassungsgericht
hat mit Beschluss vom 12.10.2011, 2 BvR 633/11
[iii]
, § 8
Absatz 2 Satz 2 des UBG und damit die Regelung der medizinischen Zwangsbehandlung
im UBG als mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art.
2 Abs. 2 GG i. V. mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.
19 IV GG unvereinbar und nichtig erklärt.
Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Patienten mit Neuroleptika,
handele es sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts um einen
besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff
[iv]
in das Recht
auf körperliche Unversehrtheit.
§
8 Abs.
2 UBG, so das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung,
entspreche nicht den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden
"Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines
Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen" müsse.
Voraussetzung
der Zulässigkeit für nicht unter § 8 Abs. 3 UBG (operativer
Eingriff, erhebliche Lebens- oder Gesundheitsgefahr) fallende Maßnahmen
der Zwangsbehandlung sei nach dieser Vorschrift nur, dass diese nach
den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich seien, um die Krankheit
zu untersuchen und zu behandeln. Damit aber sei "dem Erfordernis,
die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über abstrakte Verhältnismäßigkeitsanforderungen
hinaus gesetzlich zu konkretisieren", wie gerade jüngst in BVerfG
NJW 2011,
2113 gefordert, gerade nicht
genügt
[v]
.
Speziell im Fall des entscheidungsgegenständlichen Maßregelvollzugs (§ 63
StGB ff.) sei die medizinische Zwangsbehandlung des untergebrachten
Patienten mit Neuroleptika zur Erreichung des Vollzugsziels nach §
8 Abs. 2 S. 2 UBG nicht, wie verfassungsrechtlich noch in BVerfG NJW
2011, S. 2113 ausdrücklich gefordert, auf die Fälle einer krankheitsbedingt
fehlenden Einsichtsfähigkeit des Patienten begrenzt. Gemäß § 8 Abs.
2 S. 2 UBG in der bis
dato gültigen Fassung vom 2. Dezember 1991 habe der Patient allgemein
diejenigen Untersuchungs- und Heilmaßnahmen zu dulden, die nach den
Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich seien, um die Krankheit zu
untersuchen und zu behandeln. Es sei denn, die Untersuchung oder Behandlung
fiele nicht unter das Einwilligungserfordernis für operative Eingriffe und Eingriffe,
die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden
sind.
Den Begriff der "Regeln der ärztlichen
Kunst" sieht das Bundesverfassungsgericht als zu unbestimmt, als dass
hieraus eine "hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit
der Zwangsbehandlung auf Fälle der fehlenden Einsichtsfähigkeit" abgeleitet
werden könne.
Bereits der
Umstand, dass im bisherigen § 8 UBG (Stand 1991) eine Einwilligungsfähigkeit
des Patienten nur für operative Eingriffe und für Maßnahmen,
die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des
Untergebrachten verbunden sind, verlangt wird, wenn es um Zwangsbehandlung
mit Neuroleptika geht - nur diese bedürfen nach § 8 Abs.
Abs. 3 UBG einer Einwilligung des Betroffenen, die dessen Einwilligungsfähigkeit
voraussetzt -, spricht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes
dafür, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig
von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit
auch gegen den Willen eines Patienten zugelassen sein sollen.
Auch wenn
man annehmen wollte, dass zwischen der Fähigkeit zu wirksamer
rechtfertigender Einwilligung in eine medizinisch indizierte Behandlung
und der Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung
zu unterscheiden sei, weil eine psychische Krankheit speziell die
letztere Fähigkeit - insbesondere die Fähigkeit, die Risiken
der Behandlung nicht zu überschätzen - beeinträchtigen
könne, stelle jedenfalls nicht schon der Verweis auf die sog.
"Regeln der ärztlichen Kunst" in der notwendigen Weise
klar, dass krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit Voraussetzung
der Zwangsbehandlung ist.
In Deutschland existieren, nach fruchtlosen Bemühungen der Deutschen
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN) die in den 90er Jahren Versuche initiierte medizinische Standards
für Zwangsbehandlungen zu etablieren, keine medizinischen Standards
für psychiatrische Zwangsbehandlungen, aus denen mit der notwendigen
Deutlichkeit hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den
Untergebrachten entlassungsfähig zu machen, ausschließlich
im Fall krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig
seien.
Dass dementsprechend
ein Bewusstsein hierfür in den medizinischen und juristischen Fachkreisen
nicht vorhanden sei und eine Regelung, wie in der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes vom 23.03.2011 (NJW 2011, 2113ff.) festgestellt,
unverzichtbar sei, zeige sich schon daran, dass weder die Klinik noch
die Fachgerichte sich in der der Entscheidung zugrunde liegenden Fallkonstellation
mit der Frage, ob beim Patienten eine krankheitsbedingte Unfähigkeit
zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung bestehe, auch nur
ansatzweise auseinandergesetzt haben. Die bloße Diagnose einer Persönlichkeitsstörung
jedenfalls beantworte diese Frage nicht im Ansatz.
Vorausgegangen
war eine Leitsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. März
2011, in der es entschieden hat, dass bei einem im Maßregelvollzug
Untergebrachten eine Zwangsbehandlung schon wegen des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit nicht erlaubt sei, um den
Schutz Dritter vor künftigen Straftaten oder auch Gefahren des
Untergebrachten im Fall seiner Entlassung zu gewährleisten. Dieser
Schutz, so die entsprechende Entscheidung, könne auch dadurch
gewährleistet werden, dass der Betreffende unbehandelt im Maßregelvollzug
verbleibt.
Eine Zwangsbehandlung mit Neuroleptika zum Zwecke der Gefahrenabwehr
ist seither ausgeschlossen.
Die Feststellung, dass die Zwangsbehandlung einen relevanten Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen darstellt, ergibt
sich schon daraus, dass das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich in
den Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG einzubeziehen ist.
Die Zwangsmedikation
stellt auch nach dieser Entscheidung einen schwerwiegenden Eingriff
in das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz dar.
Der in einer
medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff berühre nicht nur
die körperliche Integrität des Betroffenen als solche, sondern in
besonders intensiver Weise auch das von Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz
geschützte Recht auf Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht schütze die
körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche
Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem traditionellen Gehalt gehöre der
Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung (vgl. BVerfGE 79, 174 S.
201).
Vor diesem
Hintergrund stelle die Gabe von Neuroleptika gegen den Willen des
Patienten (Zwangsbehandlung) einen besonders schweren Grundrechtseingriff
dar und greife in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein
(Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
Die medizinische
Zwangsbehandlung sei, wie jeder andere Grundrechtseingriff auch, nur
auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen
des Eingriffs bestimme. Dies gelte nicht nur für die materiellen,
sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen.
Zudem bestätigt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung,
dass der Zweck der Heilung den Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung
nicht ausschließt. Das bloße Unterbleiben physischen Widerstandes
könne zudem "nicht ohne Weiteres" als Zustimmung gedeutet werden.
Im Einklang mit den üblichen Kriterien für einen wirksamen
Grundrechtsverzicht verlangt das Bundesverfassungsgericht
vielmehr, dass der Betroffene einwilligungsfähig sein
müsse und keinem unzulässigen Druck ausgesetzt sein dürfe.
Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten
ändert ebenfalls nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen
Willen erfolgende Behandlung, die seine körperliche Integrität
berührt, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs.
2 S. 1 GG darstellt. Sie kann im Gegenteil dazu führen, dass
der Eingriff von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt wird,
und daher das Gewicht des Eingriffs noch erhöhen lässt.
Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2
Abs. 2 GG nicht von vornherein entfallen.
"Selbst die Einwilligung des für einen einsichts- und einwilligungsunfähigen
Untergebrachten bestellten Betreuers nimmt daher der Maßnahme
nicht den Eingriffscharakter, der darin liegt, dass sie gegen den
natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt."
Entsprechend diesen Motiven und aufgrund des
Umstandes, dass eine geltungserhaltende Reduktion bzw. eine verfassungskonforme
Auslegung des § 8 UBG in seinem Abs. 2 UBG ausgeschlossen wurde,
ist der gegenständliche Gesetzesentwurf zu sehen.
4. Die derzeitige Diskussion
und der derzeitige Sachstand zur Zwangsbehandlung
Inzwischen
hat sich in der Rechtsprechung der Betreuungsgerichte die Auffassung
durchgesetzt, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
vom 23.03.2011 (NJW
2011, 2113ff.) sowie vom
12.10.2011 (NJW 2011, 3571ff) für die
Praxis auch über Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hinaus und
auch jenseits des Maßregelvollzugs bei der Beurteilung der Frage Anwendung
finden, inwieweit die bestehenden gesetzlichen Regelungen über Zwangsbehandlungen
den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten
Anforderungen genügen
[vi]
.
Die Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichtes sind in der Rechtsprechung und weiten
Teilen der Literatur durchweg angenommen worden und finden jenseits
der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug auf alle hinsichtlich
einer Behandlung mit Neuroleptika gegen den Willen eines Pateinten
relevanten Bereiche Anwendung.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung
zur Zwangsbehandlung eines auf der Grundlage des Sächsischen
Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen
Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007 eine Annahme
der Verfassungsbeschwerde abgelehnt, dies aber mit dem tragenden Argument,
dass mit der Leitsatzentscheidung BVerfG NJW 2011,
2113 ff. die wesentlichen
Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung
geklärt seien und von den Fachgerichten zu erwarten stehe, dass
sie diese bei künftigen Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung
von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und
entsprechend verfahren
[vii]
.
Die Rechtsprechung jedenfalls geht überwiegend davon aus, dass
neben den öffentlich-rechtlichen Unterbringungen im Maßregelvollzug
und der Unterbringung nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht
auch § 1906 Abs.
1 S. 2 BGB den vom Bundesverfassungsgericht
in den Entscheidungen vom 23.03.2011 (NJW 2011,
2113ff.) sowie vom
12.10.2011 (NJW 2011, 3571ff) aufgestellten
Anforderungen an ein das Grundrecht des Betroffenen auf körperliche
Unversehrtheit einschränkendes Gesetz entsprechen
[viii]
soll.
Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts, so die Rechtsprechung
der Betreuungsgerichte, könne insbesondere § 1906 Abs. 1 Ziff. 2 BGB
keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung darstellen, diese sei auch keiner erweiternden oder
ergänzenden Auslegung entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (grundlegend insoweit BGH,
Urt. vom 1.2.2006, NJW 2006, S.1277ff.) zugänglich.
1906 Abs. 1 Ziff. 2 BGB regele ausschließlich die Zulässigkeit
der betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung, enthalte
jedoch keinerlei Regelungen dazu, unter welchen Voraussetzungen eine
Zwangsbehandlung durchgeführt
werden dürfe. § 1906 Abs.1 Ziff. 2 BGB genüge damit nicht ansatzweise
den Anforderungen, die an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen
Grundlage für einen so besonders schweren Grundrechtseingriff zu stellen
sind
[ix]
.
Den vom Bundesverfassungsgericht
aufgezeigten Mängeln einer gesetzlichen Regelung sowohl in materieller
als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht könne nach Auffassung
der Betreuungsgerichte auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung
des § 1906 Abs. 1 Ziffer 2 BGB abgeholfen werden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.02.2006 (NJW 2006,
S. 1277), wonach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dahingehend sinnvoll
auszulegen sei, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen,
in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt habe und derentwegen
der Betreute untergebracht werden durfte, unabhängig von seinem
möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während
der Unterbringung zu dulden habe und diese Vorschrift die Zwangsbehandlung
einwilligungsunfähiger Betroffener gegen deren natürlichen
Willen während der stationären Unterbringung gestatte, kann
nach Ansicht der Rechtsprechung der Betreuungsgerichte wegen der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011 nicht mehr aufrecht erhalten
bleiben
[x]
, zumal der
Gesetzgeber keine gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung schaffen
wollte
[xi]
.
Eine zunächst vom Justizministerium des Landes Baden-Württemberg vorgesehene
Vorgehensweise, wonach die Zwangsmedikation, sofern diese der Bewältigung
einer akuten Krisensituation mit Selbst- oder Fremdgefährdung diene,
unter engen Voraussetzungen ohne Einwilligung zulässig sei, ist von
der Rechtsprechung abgelehnt worden.
So hat das
Amtsgericht Nürtingen in Anlehnung an die Entscheidung des Verfassungsgerichtes
festgestellt, dass psychisch Kranke, die krankheitsbedingt für sich
oder andere gefährlich sind, nur noch untergebracht, aber nicht zwangsbehandelt
werden dürfen (AG Nürtingen, Beschluss vom 10. November 2011, 11 XIV 80/11)
[xii]
[xiii]
Auch die Literatur
hat die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung
weitgehend begrüßt
[xiv]
.
Die vom Verfassungsgericht geschaffene Rechtsklarheit zur Zwangsbehandlung
ist allerdings andererseits auf ganz erhebliche Kritik der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde (DGPPN) gestoßen.
Zwar erkennt man die im Zuge der beiden Entscheidungen des Verfassungsgerichtes
erfolgte Stärkung des Patientenwillens und der Patientenautonomie
an, denn auch nach dieser Ansicht soll die selbstbestimmte Einsicht
in die Notwendigkeit einer Behandlung wesentliche Grundlage des Erfolgs
einer sachgerechten Behandlung sein.
[xv]
Die beiden einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
aber auch die sich anschließende Rechtsprechung der Betreuungsgerichte
werde den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Interesse psychiatrischer
Patienten wie der Helfenden in der Psychiatrie nicht gerecht.
Die Rigorosität des Verbots der Behandlung ohne und auch gegen
den Willen des Betroffenen führe vielmehr dazu, dass den Patienten
erfolgversprechende Hilfe vorenthalten würde und psychisch Kranke
einem eigengesetzlich verlaufenden Schicksal überlassen würden.
Das Postulat der "freien Willensentscheidung" diene, so
ein weiterer Vorwurf, zudem der Legitimation der langfristigen Verwahrung
psychisch Kranker
[xvi]
.
Im Gegensatz zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach
der Behandlungszwang nicht durch einen Schutz Dritter vor Straftaten
des Patienten zu rechtfertigen sei, weil dieser Schutz auch dadurch
gewährleistet werden könne, dass der Untergebrachte unbehandelt im
Maßregelvollzug verbleibe
[xvii]
, misst die
DGPPN Behandlungen ohne den Willen des Patienten insbesondere da Bedeutung
zu, wo Menschen auf Grund ihrer psychischen Störung für sich oder
andere gefährlich seien
[xviii]
.
Patienten,
die auf Grund ihrer psychischen Störung straffällig geworden
seien, sollen durch die Unterbringung in einer Klinik für Forensische
Psychiatrie und Psychotherapie gebessert und gesichert werden. Die
überwiegende Mehrzahl der dort untergebrachten Patienten profitiere
von der Behandlung und könne in ein soziales Umfeld oder eine
weniger eingreifende Lebensform (re)sozialisiert werden. Die Patienten
im Maßregelvollzug seien dort auf Grund ihrer störungsbedingten
Gefährlichkeit untergebracht. Die Gesellschaft werde in Konsequenz
der Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht durch eine wirksame
Behandlung, sondern durch freiheitsentziehende Zwangsmaßnahmen
geschützt.
Unabhängig von der Frage der Einwilligungsfähigkeit eines
Patienten in eine Behandlung mit Neuroleptika sei es im Einzelfall
aber aus medizinischer Sicht im objektiven Patienteninteresse geboten
und erforderlich, diese auch gegen ihren Willen mithin zwangsweise
zu behandeln.
Aktuelle Entscheidungen der Betreuungsgerichte stärkten die Freiheits-
und Selbstbestimmungsinteressen der Menschen, auch wenn diese psychisch
krank seien und sich selbst und ihr Umfeld schädigten, ohne jedoch
die kaum zu verantwortenden Konsequenzen für die betroffenen Patienten
und deren Nahfeld zu berücksichtigen.
Exemplarisch
werden die Entscheidungen des OLG Celle vom 03.08.2011 - 1 Ws 233/11
(Ablehnung einer Zwangsbehandlung zur Abwehr
von Gefahren für Leib und Gesundheit von Mitpatienten oder Pflegepersonal)
[xix]
, des OLG
Zweibrücken 1 Ws 90/11 vom 01.08.2011 (Ablehnung der Kameraüberwachung
zur Nachtzeit und der Behandlung einer interkurrenten Erkrankung bei
entgegenstehenden Willen des Patienten) sowie weitere Entscheidungen
der Betreuungsgerichte, die eine Zwangsbehandlung ablehnen, genannt.
Auch der BGH geht zwischenzeitlich von einer
unzulässigen Unterbringung nach § 1906 I Nr. 1 BGB bei möglicher ambulanter
Überwachung der Medikamenteneinnahme aus
[xx]
.
Konsequenz
dieser Rechtsprechung und des Verbotes der Behandlung ohne oder auch
gegen den Willen des psychisch kranken Menschen sei, dass Ärzte gezwungen
würden, behandelbaren Menschen wirksame Hilfe vorzuenthalten. Gestützt
auf das Selbstbestimmungsrecht psychisch kranker Menschen würden diese
einem eigengesetzlich verlaufenden Krankheits- und Sozialschicksal
überlassen und letztlich langfristig aus der Gesellschaft ausgegrenzt.
Ausdruck der
psychischen Veränderung eines Menschen sei gerade häufig
eine Verminderung der Einsicht in die bestehende Störung und
der damit verbundenen Minderung selbstreflektierender Fähigkeiten.
Das "Recht zur Krankheit", wie es den Urteilen des Bundesverfassungsgericht
zu entnehmen sei, werde so durch die mit der Krankheit verbundenen
Konsequenzen für den Betroffenen relativiert.
Für die Ärzte bestehe zudem der Konflikt der beidseits strafbedrohten
unterlassenen Hilfeleistung einerseits und der rechtswidriger Zwangsbehandlung
andererseits. Therapeuten und Pflegende würden gezwungen, sich
mit behandelbaren und aufgrund der psychischen Störung gewalttätigen
Menschen körperlich auseinanderzusetzen
[xxi]
.
Demgegenüber begrüßen Betroffenenverbände und
die beteiligten Praktiker die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes.
Das Bundesverfassungsgericht habe Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG menschenrechtlich
zutreffend als Aktivrecht jeder Person ausgelegt: "Jeder hat das Recht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG
laute konsequent: "Die Freiheit der Person ist unverletzlich." Das
bedeute, jeder erfahre sich als Person, indem er über sich, das eigene
Leben und eigene Unversehrtheit zu allererst ihres/seines Körpers
selbst entscheidet. Darum habe das Verfassungsgericht zutreffend formuliert,
es sei unzulässig, stellvertretend, und sei es als Psychiater aus
gesundheitlichen oder anderen Gründen der Rehabilitation, eine Person
zwangsweise zu behandeln. Die Selbstbestimmung des Menschen schließe
alle kranken oder gesunden Befindlichkeiten ein.
Indem das
Bundesverfassungsgericht über die historisch herkömmliche
Begrenzung des Kerns der Menschenrechte als Abwehrrechte hinausgehe,
folge es der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen von
2006. Sie sei auf Vorschlag der Bundesregierung im Dezember 2008 vom
Deutschen Bundestag als Gesetz übernommen worden. Die Behindertenrechtskonvention
gehe sogar folgerichtig im Sinne der Wirklichkeit des Menschen und
seiner sozialen Bedingungen darüber hinaus und verlange, dass
die sozialen, technischen und wissenschaftlichen Bedingungen zu schaffen
seien, Behinderungen zu überwinden oder zu relativieren. Damit
die Behindertenrechtskonvention nicht nur deklamatorischen Lärm
mache. Die Behinderten würden ansonsten um ihre Grund- und Menschenrechte
gebracht, obwohl sie nominell gelten.
[xxii]
Die "Freiheit zur Krankheit", als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
und der allgemeinen Handlungsfreiheit werde durch die Entscheidungen
der Gerichte bekräftigt.
Der Staat müsse es von jeher hinzunehmen, wenn der Bürger
fürsorgerische Leistungen eigenverantwortlich ablehne
[xxiii]
.
Zudem habe die Entscheidung wesentlich zu einer Rechtsklarheit
beigetragen. Zum einen sieht das Verfassungsgericht keine dem Fürsorgegedanken
des Staates aus Art. 20 Abs. 1 GG entspringende Verpflichtung des
Staates zur Fürsorge, zum anderen sei dem alten Theorienstreit
zum tatbestandsausschließenden Einverständnis der ärztlichen
Behandlung mit der Position des Bundesverfassungsgerichtes der Boden
entzogen worden. Das Bundesverfassungsgericht habe mit der nötigen
Deutlichkeit klargestellt, dass ein ärztlicher "Heil"-Eingriff
ebenso eine Körperverletzung sei wie ein mit einer anderen Zielrichtung
vorgenommener körperlicher Eingriff
[xxiv]
. Allerdings
habe das Bundesverfassungsgericht angenommen, dass eine Eingriffsqualität
entfallen könne, wenn der Untergebrachte umfassend ärztlich
aufgeklärt und frei von jeglichem Druck, wie etwa dem Inaussichtstellen
von Nachteilen, einer medizinischen Behandlung zugestimmt habe. Diese
Haltung bezieht sich indes nur auf die verfassungsrechtliche Eingriffs-Qualität
einer medizinischen "Heil"-Behandlung und sagt nichts über deren
Charakter als Körperverletzung aus
[xxv]
.
5. Die
geplante Novellierung des § 8 UBG
a. Begriffliche Änderungen
Die Novellierung
betrifft zunächst begriffliche Veränderungen der Begriffe des "Untergebrachten"
und der "Heilbehandlung":
Bisher war
in § 8 UBG vom "Untergebrachten" die Rede. Dieser Begriff wurde im Zuge des "Gender-Mainstreaming-Gedankens"
modifiziert und in der Neufassung durch "die untergebrachte Person"
ersetzt.
Bisher regelte
§ 8 die "Heilbehandlung". Der Begriff wurde aber innerhalb des Paragraphen nicht durchgängig
benutzt, später ist von "Behandlung" die Rede. Da inhaltlich
kein Unterschied vorliege, soll einheitlich der Begriff "Behandlung"
verwendet werden.
b. Keine
Zwangsbehandlung ohne Einwilligung des einwilligungsfähigen Patienten,
§ 8 Abs. 2 UBG
Die Zwangsmedikation
mit Neuroleptika wird nunmehr durch den Neuentwurf des § 8 Abs.
2 UBG erstmals als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
erkannt und der Einwilligung eines öffentlich-rechtlich untergebrachten
Patienten unterstellt. Es gibt keine Duldungspflichten der Zwangsbehandlung
mehr, grundsätzlich sollen alle Eingriffe einer voraus erklärten
Einwilligung des Patienten unterliegen.
Zudem wird die Behandlung mit Neuroleptika von einer vorausgegangenen
umfassenden Aufklärung des Patienten abhängig gemacht, Ziel
dieser Aufklärung soll allerdings die Zustimmung des Patienten
in die Behandlung sein.
Entsprechend den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes, dass
die "medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten in schwerwiegender Weise in [...]
das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1", d.h. in die körperliche
Unversehrtheit, eingreife, kommt eine Behandlung mit Neuroleptika
bei einem untergebrachten Patienten gegen dessen Willen nicht mehr
in Betracht.
Für die
medizinische Behandlung eines Menschen gilt generell, dass der Patient
selbst entscheidet, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt oder
aber diese anlehnt, unabhängig davon, ob diese Vorgabe an den
Arzt aus medizinischer Sicht vernünftig erscheint oder nicht
[xxvi]
. Dieses Selbstbestimmungsrecht
hat seine Rechtsgrundlage sowohl in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, als auch in Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG
[xxvii]
.
Dieses Grundrecht schütze "die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers
und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht". Der Betroffene wird nunmehr soweit § 8 Abs. 2 UBG
zur Anwendung gelangt, nicht mehr wie in der zuvor geltenden Fassung
des § 8 Abs. 2 UGB im Zuge einer Duldungspflicht genötigt, einen medizinischen
Eingriff und damit eine Maßnahme zu dulden, die "den Straftatbestand
der Körperverletzung erfüllt und normalerweise nur mit Einwilligung
zulässig ist" .
Der Patient hat nunmehr das Recht, über das "ob" und "wie" seiner
Behandlung nach entsprechender Aufklärung durch seine Einwilligung
zu entscheiden
[xxviii]
sofern er
zu einer Einwilligung in der Lage ist.
Dies entspricht dem Selbstbestimmungsrecht, wie es an sich im Zuge
einer medizinischen Behandlung jenseits psychiatrischer Behandlung
üblich ist.
Das Selbstbestimmungsrecht kommt in § 8 Abs. 2 UBG hinreichend
zum Tragen, die Regelung entspricht auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.
c. Zulässigkeit der Zwangsbehandlung,
wenn der untergebrachte Patient nicht einwilligungsfähig ist
oder konkrete Gefahr für Leib und Leben des untergebrachten Patienten
droht
aa. Die geplante Regelung des § 8 Abs. 3 a UBG - Zwangsbehandlung
bei mangelnder Einsichtsfähigkeit
Bestimmte
Formen von Zwangsbehandlungen von nicht einwilligungsfähigen, psychisch
kranken Patienten sollen nach der Novelle des § 8 Abs. 3 a. UBG zulässig
sein und als Eingriffsnorm für eine solche Zwangsbehandlung dienen.
Gleiches soll
gelten, wenn und soweit eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit
der untergebrachten Person oder aber Lebensgefahr abzuwenden sei,
§ 8 Abs. 3 b. UBG.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Schutz Dritter vor Straftaten,
die die untergebrachte Person im
Fall ihrer Entlassung begehen könnte, sei keine Rechtfertigung
für eine Zwangsbehandlung. Die beabsichtigte Neuregelung betreffe
damit alle Menschen
in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung.
Eine Zwangsmedikation zur Abwehr anderer Gefahren für Dritte werde, so die
Begründung, von der beabsichtigten Neuregelung auch anders als in
vorausgegangenen Regelwerken zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung
nicht mehr umfasst.
Eine solche
Zwangsmedikation stelle eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung
von Sicherheit und Ordnung dar und falle grundsätzlich nicht
unter den Begriff der "Behandlung" im Sinne des § 8
UBG. Bei einer Gefährdung Dritter könne gegebenenfalls in
den Grenzen des § 34 StGB zwangsbehandelt werden.
Weitere Begründungen, insbesondere hinsichtlich der Eingriffsnorm
bei erheblichen gesundheitlichen Gefahren, enthält das Gesetzesvorhaben
nicht.
Hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit dürfte zum entscheidenden
Kriterium zu machen sein, dass die Einwilligung - streng zu trennen
von der Geschäftsfähigkeit - keine rechtsgeschäftliche
Willenserklärung, sondern die Gestattung der tatsächlichen
Handlung ist
[xxix]
. Insofern
kommt es für die Rechtmäßigkeit nicht auf die Geschäftsfähigkeit
an, sondern darauf, ob der Patient in der Lage ist, die Bedeutung
und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu erfassen. Das
bestehende Risiko müsste eingeschätzt und das für-
und wider gegeneinander abgewogen werden.
Die Differenzierung zwischen einem einwilligungsfähigen und einem
nicht einwilligungsfähigen Patienten begegnet allerdings grundsätzlichen
Bedenken dahingehend, dass kein Grund ersichtlich ist, der rechtfertigen
kann, dass ein einwilligungsunfähiger Patient, der seinen Willen
kundtun kann, anders behandelt wird als der, dem eine Einwilligungsfähigkeit
zuerkannt wird.
Ärztliche Behandlung ist, so man den Leitsatzentscheidungen des BGH
folgt, als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG grundsätzlich nur mit Einwilligung des Patienten zulässig; auch
ein medizinisch indizierter, den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend
durchgeführter Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten
ist rechtswidrig und erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung,
es sei denn, eine wirksame Einwilligung des Patienten liegt vor
[xxx]
.
Diese Einwilligung
muss sich inhaltlich auf die jeweilige konkrete Maßnahme beziehen;
das schließt aber nicht aus, dass der Patient allgemein einer vom
Arzt für erforderlich erachteten kunstgerechten Behandlung zustimmt
[xxxi]
.
Voraussetzung
einer wirksamen Einwilligung ist ferner, dass der Arzt denjenigen,
auf dessen Einwilligung es ankommt, so weit als möglich über Art,
Bedeutung, Schwere und mögliche Folgen des Eingriffs aufgeklärt hat
und dieser damit, wenn auch nur im großen und ganzen, weiß, wozu er
seine Einwilligung gibt
[xxxii]
.
Nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes jedenfalls ändert die krankheitsbedingte
Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ebenfalls nichts daran,
dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung,
die seine körperliche Integrität berührt, einen Eingriff
in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt. Sie
kann im Gegenteil dazu führen, dass der Eingriff von dem Betroffenen
als besonders bedrohlich erlebt wird, und daher das Gewicht des Eingriffs
noch erhöhen. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den
Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG nicht entfallen.
"Der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff" so
das Bundesverfassungsgericht "berührt nicht nur die körperliche Integrität
des Betroffenen als solche, sondern in besonders intensiver Weise
auch das von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützte Recht auf
diesbezügliche Selbstbestimmung. Ein von anderen Menschen gezielt
vorgenommener Eingriff in die körperliche Integrität wird als umso
bedrohlicher erlebt werden, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen
hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff
in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer
psychischen Verfassung den Schrecken der Zwangsinvasion in ihre körperliche
Integrität und der Beiseitesetzung ihres Willens sowie die Angst davor
besonders intensiv empfinden. Für die grundrechtliche Beurteilung
der Schwere eines Eingriffs ist auch das subjektive Empfinden von
Bedeutung (vgl. BVerfG 89, 315 S. 324). Die Gabe von Neuroleptika
gegen den natürlichen Willen des Patienten schließlich stellt - unabhängig
davon, ob nach fachgerichtlicher Einschätzung der Eingriff die [nach
Gesetzeslage - d. Verf.] statuierten Voraussetzungen der Einwilligungsbedürftigkeit
erfüllt oder im betreuungsrechtlichen Zusammenhang die Voraussetzungen
der Genehmigungsbedürftigkeit nach § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen
würde - einen besonders schweren Grundrechtseingriff auch im Hinblick
auf die Wirkungen dieser Medikamente dar."
Dies gelte
schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit schwerer,
irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die teilweise
erhebliche Streuung in den Ergebnissen der Studien zur Häufigkeit
des Auftretens erheblicher Nebenwirkungen. Psychopharmaka sind zudem
auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung
gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berühre daher, auch unabhängig
davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in besonderem
Maße den Kern der Persönlichkeit.
Hinsichtlich des geplanten Gesetzesvorhabens,
insbesondere in § 8 Abs. 3 a UBG, ist in keiner Weise nachvollziehbar,
dass auf der einen Seite verfassungsrechtlich garantierte "Freiheit
zur Krankheit" betont wird, andererseits aber eine Behandlung "gegen
den natürlichen Willen des Betroffenen" (= Zwangsbehandlung)
zugelassen werden soll
[xxxiii]
.
Der Verfasser der Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren BVerfG NJW 2011, 2113
hat hierzu zutreffend ausgeführt:
"Wer einen natürlichen
Willen hat und äußert muss damit auch Gehör finden.
Es kann schlechterdings keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung
dafür geben, diesen natürlichen Willen zu ignorieren oder
gar zu brechen. Allenfalls wäre es verfassungsrechtlich zu rechtfertigen,
bei Absenz dieses natürlichen Willens zu (be)handeln. Dies wäre
nach dem Bundesverfassungsgericht begrifflich allerdings gar keine
Zwangsbehandlung"
[xxxiv]
.
Vor dem Hintergrund der praktischen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs würde
durchaus Gefahr bestehen, dass der einwilligungsunfähige Patient jenseits
eines derzeit aufgrund des begrenzten "Rechtes auf Krankheit"
freien Rechtssubjektes zu einem Objekt einer umfassenden staatlichen
Gesundheitsvormundschaft
[xxxv]
wird.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.2011
kann eine Zwangsbehandlung nur auf Grund einer klaren und bestimmten
gesetzlichen Regelung angeordnet werden. Eine solche Regelung ist
in den geplanten Vorschriften nicht enthalten. Ferner bedarf es nach
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klarer Anforderungen
an das Verfahren. Auch die Verfahrensvorschriften enthalten insoweit
keine Bestimmungen über das bei der Zwangsmedikation anzuwendende
gerichtliche Verfahren.
Es ist bereits fraglich, wie und auf welcher Grundlage festzustellen
sein soll, ob jemand krankheitsbedingt
in seiner Einwilligungsfähigkeit und damit in seinem "Wollen"
so eingeschränkt ist, dass er oder sie deshalb nicht das für
und wider einer Behandlung mit Neuroleptika abwägen kann. Die
Kriterien, mit denen nachgewiesen und beurteilt werden können
soll, dass der betroffene Patient nicht Gründe für seine ablehnende Haltung hat, sondern dass diese
Haltung durch eine Krankheit verursacht
wird, sind hinsichtlich einer Allgemeingültigkeit ebenso fraglich,
wie die Möglichkeit insgesamt, solche Feststellungen auf hinreichender
Tatsachengrundlage zu treffen.
Es verbleibt gerade in Hinsicht auf die der geplanten Gesetzesänderung zugrundeliegenden
Entscheidungen des Verfassungsgerichtes dabei, dass der ärztliche
Eingriff, zu dem auch die Zwangsbehandlung mit Neuroleptika zählt,
den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt
[xxxvi]
. Entsprechend
sollte auch der einwilligungsunfähige Patient in Ausfluss seines Selbstbestimmungsrechtes
über das "ob" und "wie" einer medikamentösen Behandlung befinden können.
Dies gilt
nicht nur wegen des ansonsten unüberbrückbaren Widerspruchs, worauf
noch einzugehen sein wird, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes
einerseits die ärztliche Aufklärung in jedem Falle nach § 8 Abs. 3
UBG für die Rechtfertigung eines Eingriffes notwendig sein soll, andererseits
aber dem vermeintlich "einwilligungsunfähigen" Patienten nicht die
Wahlmöglichkeit, sich für oder gegen seine Behandlung mit Neuroleptika
auszusprechend, belassen bleiben soll.
Der in einer
medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff berührt nicht
nur die körperliche Integrität des Betroffenen als solche,
sondern in besonders intensiver Weise auch das von Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG mit geschützte Recht auf diesbezügliche Selbstbestimmung.
Eine medizinische Behandlung, die ihrer Art nach das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit berührt, greift in dieses Grundrecht
damit nur dann nicht ein, wenn sie von der auf der Grundlage der gebotenen
ärztlichen Aufklärung, erteilten Einwilligung des Untergebrachten
gedeckt ist (BverfG, Beschluss vom 23. März 2011
[xxxvii]
).
Auch im Minderjährigenrecht wird dem nicht volljährigen
ein Vetorecht hinsichtlich von Eingriffen in seine körperliche
Unversehrtheit zugebilligt
[xxxviii]
, eine Fremdbestimmung
des Willens bei in Frage stehenden medizinischen Maßnahmen sukzessive
abgelehnt
[xxxix]
.
Die Ablehnung einer Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Patienten
gründet auch auf dem Rechtsgedanken der Patientenverfügung, die allgemein
als antizipierte Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung
[xl]
gesehen wird.
Auch für die Errichtung einer Patientenverfügung wird allgemein als
Voraussetzungskriterium nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern die
Einwilligungsfähigkeit als ausreichend erachtet
[xli]
.
Dann aber sollte eine zu errichtende Patientenverfügung, wie sie
nunmehr auch in § 8 Abs. 9 UBG normiert werden soll, nicht zum
Ausschlusskriterium einer Zwangsbehandlung, sondern zu einem Zulässigkeitskriterium
der Behandlung mit Neuroleptika gemacht werden, so der Patient im
Vorfeld in einer solchen Behandlung gegebenenfalls unter Angabe des
Medikaments oder des Wirkstoffes zustimmen kann.
Diese Lösung jedenfalls birgt den Vorteil in sich, dass dem Selbstbestimmungsrecht
auf diese Weise in jedem Falle der Vorrang eingeräumt wird.
bb. Die geplante Regelung des §
8 Abs. 3 b UBG - Zwangsbehandlung bei Gefahr für Leib und Leben
des Patienten
Die entsprechende
Regelung, dass eine Zwangsbehandlung dann zulässig sein soll, wenn
Gefahr für Leib und Leben des Patienten besteht, dürfte den in den
Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes aufgestellten Postulaten
hinsichtlich einer hinreichenden Bestimmtheit nicht genügen und in
diesen auch keine Stütze finden, zumal in keiner Weise erkennbar wäre,
welche verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung
mit dem Ziel, Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen abzuwenden,
gegen den erklärten Willen eines einwilligungsfähigen Patienten zulässig
sein sollten und welchen Nutzen eine solche Zwangsbehandlung haben
soll.
Einen operativer
Eingriff oder die sonstige Gefahr ernster Nebenfolgen jedenfalls knüpft
der Gesetzesentwurf in § 8 Abs. 7 UBG wiederum an das Einwilligungskriterium,
nur eben bei sonstigen Maßnahmen, zu denen dann auch die Zwangsbehandlung
zählt, soll dies nicht gelten. Es mag dahingestellt bleiben, ob verfassungsrechtlich
zu beanstanden ist, wie in § 6 Abs. 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes
über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln (Maßregelvollzugsgesetz
- MVollzG), eine Eingriffsgrundlage für eine zwangsweise Ernährung
des untergebrachten Patienten geschaffen wird, eine generelle Ermächtigungsgrundlage
zur Behandlung entgegen dem Willen eines Patienten für den Legitimationsgrund
"erhebliche Gefahr für Gesundheit, Leib oder Leben" zu schaffen, dürfte
jedoch nicht verfassungskonform sein.
Der Gesetzesentwurf
stellt in § 8 Abs. 3 b. UBG gezielt auf eine medizinische Behandlung
jenseits eines operativen Eingriffes ab, um die Behandlung wiederum
mit dem Hinweis auf Gefahren für Leib und Leben auch ohne Einwilligung
des Patienten zu legitimieren. Denn der Begriff einer "schwerwiegenden
Gefahr" für die Gesundheit eines Patienten ist ebenso wie der Begriff
der "Regeln der ärztlichen Kunst" nicht aus sich selbst heraus bestimmt,
sondern auslegungsbedürftig, zu unbestimmt und unterliegt einem schnellen
zeitlichen wie auch örtlichen Wandel.
Damit wird
einerseits eine Ermächtigungsgrundlage für unbestimmte Zwangsmaßnahmen
und auch einer medizinischen Zwangsbehandlung geschaffen, andererseits
liegt wiederum keine hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung
der Möglichkeit der Zwangsbehandlung vor, zumal das Bundesverfassungsgericht
beispielsweise die Eingriffsintensität einer Zwangsbehandlung mit
Neuroleptika in zutreffender Weise auch hinsichtlich der Gefahren
und Nebenwirkungen nicht geringer bewertet, als beispielsweise einen
operativen Eingriff.
Soweit die
Gesetzesinitiative zu § 8 Abs. 3 b. UBG durch die Stellungnahme
der DGPPN vom 16.01.2012 und deren Kritik an der Entscheidung des OLG Zweibrücken
vom 01.08.2011 motiviert ist, so ist es in Hinblick auf das Gesetzesvorhaben
und insbesondere § 8 Abs. 3 b. UBG lohnenswert, auf diese Entscheidung
näher einzugehen:
Das OLG Zweibrücken hat
im kritisierten Beschluss 1 Ws 90/11 auf die Grundrechte des Patienten
abgestellt und hat der unterbringenden Einrichtung entsprechend verwehrt,
gegen den natürlichen Willen des einwilligungsfähigen Patienten
zwangsweise eine interkurrente und mithin nicht psychiatrische Erkrankung
zu behandeln und diesen während der Nachtzeiten mit einer Videokamera
zu überwachen.
Das OLG Zweibrücken hat in der zitierten Entscheidung nicht einmal
primär auf die neuere Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes abgestellt,
sondern darauf, dass es wegen der Grundrechte des Patienten aus Art.
2 Abs. 1 und Abs. 2 GG verwehrt sei, die bei dem Patienten bestehende
interkurrente Erkrankungen gegen dessen natürlichen Willen zwangsweise
zu behandeln.
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schütze, so das OLG Zweibrücken,
die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und
damit auch sein diesbezügliches Selbstbestimmungsrecht. Zu seinem
Gehalt gehöre dabei auch der Schutz gegen staatliche Zwangsbehandlung,
selbst wenn sie zum Zwecke der Heilung vorgenommen wird. Eine schädliche
Zielrichtung sei dabei nicht Voraussetzung für das Vorliegen
eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
Der Patient werde ansonsten genötigt, eine Maßnahme zu
dulden, die grundsätzlich den Straftatbestand der Körperverletzung
erfüllt und daher normalerweise nur mit der - in strafrechtlicher
Hinsicht rechtfertigenden - Einwilligung des Betroffenen zulässig
sei.
Eine medizinische Behandlung, die ihrer Art nach das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit berührt, greift in dieses Grundrecht
des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG allenfalls dann nicht ein, wenn sie von
der freien und auf der Grundlage der gebotenen ärztlichen Aufklärung,
erteilten Einwilligung des Untergebrachten gedeckt ist (vgl. BVerfG
Beschluss vom 07.10.1981, 2 BvR 1194/80, Rdnr. 39 ff.).
Der Patient selbst hatte ausdrücklich eine ärztliche Intervention
zur Behandlung seiner somatischen Erkrankung, hier der koronaren Herzerkrankung,
bei Einwilligungsfähigkeit abgelehnt. Es lag allerdings aus ärztlicher
Sicht eine deutliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit
des Patienten vor, die es für den Fall, dass § 8 Abs. 3
b. UGB Gesetz würde, unbeschadet einer möglichen Verfassungswidrigkeit
der Regelung als Eingriffsgrundlage für eine Zwangsbehandlung
des Patienten herangezogen würde.
Demgegenüber hat das OLG Zweibrücken in der seitens der
DGPPN kritisierten Entscheidung
[xlii]
weiter ausgeführt:
Zumindest bei genügend gesunder
Wahrnehmungsfähigkeit, um im somatischen Bereich für sich selbst Erkrankungen
wahrzunehmen und behandeln zu lassen, ist es jedem Patienten unbelassen,
abgestufte Denkmodelle zu entwickeln oder mit alternativen Behandlungsverfahren
(asiatische Medizin) zu spekulieren. Soweit er den Tod für die somatische
Störung in Kauf nehme, stehe dies in Übereinstimmung mit seinen innersten
Vorstellungen und Absichten. Insoweit sei sein Wertesystem zwar etwas
bizarr oder exzentrisch, mithin anders als die Norm, dürfe aber als
Ausdruck von Freiheit angesehen werden. Soweit er mit dem Risiko seiner
Herzerkrankung bewusst spiele, um sich Unterbringungsvorteile, Mitleid
oder eine "moralische Bestrafung" der Ärzte der forensischen
Klinik im Sinne eines Märtyrertums zu verschaffen, sei dies ein Ausdruck
seines Privatmotivs, und nicht als psychotischer Anteil einer Persönlichkeit
zu werten.
Dem Senat ist dabei bewusst, dass (die unterbringende Einrichtung)
aus wohlgemeinter Sorge um die Gesundheit des Patienten die Kameraüberwachung
veranlasst hat, um im Ernstfall sofort handeln zu können. Jedoch stellen
auch die zur Erhaltung des Lebens notwendigen medizinischen Maßnahmen
Eingriffe in die körperliche Integrität des Patienten dar, die grundsätzlich
der Einwilligung des Betroffenen bedürfen.
Dies gilt auch dann, wenn die Verweigerung einer Behandlung
lebensgefährlich ist. Denn die grundrechtlich geschützte Freiheit
schließt auch die "Freiheit zur Krankheit" und damit das
Recht ein, auf Heilung abzielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn
diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt
sind.
Zwangsbehandlungen sind insoweit unzulässig (vgl. BGH
NJW 2005, 2385 und Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Aufl. 2011, § 1901
a, Rdnr. 7).
Das OLG Zweibrücken hat dann noch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
2 BvR 882/09 abgestellt, in den Entscheidungsgründen spiegele
sich wieder, dass "Nichts anderes (...) deshalb für die Behandlung
der somatischen Erkrankung des Beschwerdeführers gelte. Wenn
aber bereits die Behandlung als solche gegen den Willen des Erklärenden
als Zwangsbehandlung und somit als unzulässig anzusehen ist,
gilt dies erst recht für eine dieser vorgeschalteten Überwachungsmaßnahme.
Die Neuregelung des § 8 Abs. 3 b.
UBG ist daher abzulehnen. Zwangseingriffe in Körper und Geist
zählen zu den intensivsten Grundrechtseingriffen und sind seit
jeher verfassungsrechtlich und rechtspolitisch umstritten. Dies gilt
erst recht, wenn der Betroffene öffentlich-rechtlich untergebracht
ist
[xliii]
.
Soweit ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen "vor
sich selbst in Schutz zu nehmen"
[xliv]
, anzuerkennen
ist, eröffnet dies keine "Vernunfthoheit" staatlicher
Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen
Wille, beispielsweise auch zur Inanspruchnahme von Alternativmedizin,
allein deshalb beiseitegelegt werden darf, weil von durchschnittlichen
Präferenzen abgewichen wird oder weil der Wille unvernünftig
erscheint
[xlv]
(Gefahr eines
fürsorgerischen Paternalismus - Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung,
1992, S. 188 ff., Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben
und Gesundheit, 1987, S. 228 ff. und Schwabe, JZ 1998, 66 S.
70).
cc. Das Verhältnismäßigkeitserfordernis
des § 8 Abs. 3 UBG
Nach § 8 Abs.
3 UBG muss die Zwangsbehandlung im Hinblick auf das Behandlungsziel,
das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen. Sie darf nur als
letztes Mittel eingesetzt werden,
wenn mildere Mittel, insbesondere eine weniger eingreifende Behandlung,
aussichtslos sind. Zudem muss die Zwangsbehandlung auch verhältnismäßig
im engeren Sinne sein, so dass die mit der Behandlung einhergehenden
Belastungen nicht außer Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen stehen.
Das Gesetzesvorhaben
bleibt damit weit hinter den Anforderungen zurück, die das Bundesverfassungsgericht
für eine Zwangsbehandlung eines Einwilligungsunfähigen aufgestellt
hat.
In der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes 2 BvR 882/09 wird unter Nachweis in
Rechtsprechung und Literatur ausgeführt:
"Über die Erfordernisse der
Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die
Rechtfertigungsfähigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sie für den
Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis
zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt,
wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten,
der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der
Nichtbehandlung überwiegt. Im Hinblick auf die bestehenden Prognoseunsicherheiten
und sonstigen methodischen Schwierigkeiten des hierfür erforderlichen
Vergleichs trifft es die grundrechtlichen Anforderungen, wenn in medizinischen
Fachkreisen ein deutlich
feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert wird."
Daran aber, so das Bundesverfassungsgericht, "wird es bei einer
auf das Vollzugsziel gerichteten Zwangsbehandlung regelmäßig
fehlen, wenn die Behandlung mit mehr als einem vernachlässigbaren
Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist (Garlipp,
BtPrax 2009, S. 55; für die Unvereinbarkeit irreversibler Eingriffe
mit der UN-Behindertenrechtskonvention Aichele/von Bernstorff, BTPrax
2010, S. 199 S. 203; Böhm, BtPrax 2009, S. 218 S. 220)".
Das Bundesverfassungsgericht hat damit in tatsächlicher wie in
rechtlicher Hinsicht hohe Hürden für ein Gesetz zur neuerlichen
Legalisierung psychiatrischer Zwangsbehandlungen aufgestellt, denen
das Gesetzesvorhaben hinsichtlich der Postulate an "vernachlässigungswürdiges
Restrisiko" und eines "deutlich feststellbares Überwiegen
des Nutzens" insbesondere für den Prüfungsbereich der Verhältnismäßigkeit
einer Zwangsbehandlung in § 8 Abs. 3 S. 2 UBG nicht gerecht werden
kann
[xlvi]
.
Das Bundesverfassungsgericht hat aus beachtlichen Gründen festgelegt,
dass es an einem "deutlich feststellbaren Überwiegen des Nutzens ... bei
einer ... Zwangsbehandlung regelmäßig fehlen" wird.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht ein Hindernis für eine
gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung aufgestellt, dem die Gesetzesvorlage
nicht gerecht wird, wenn dieses Kriterium alleine auf der Verhältnismäßigkeitseben
des § 8 Abs. 3 S. 2 UBG und dann auch nur im Ansatz geprüft
wird.
In den Fällen von § 8 Abs. 3 a. UBG muss die Prüfung
des Tatbestands der Eingriffsnorm hinsichtlich der Prüfung der
Verfassungskonformität der Regelung erfolgen. Soweit hier darauf
abgestellt wird, der Versuch einer ernsthaften ärztlichen Aufklärung
der betroffenen untergebrachten Person müsse vorausgegangen sein,
erklärt dies nicht, warum dem Patienten einerseits die Teilnahme
an einem Aufklärungsgespräch auferlegt wird, andererseits
aber sein Selbstbestimmungsrecht einer medikamentösen Zwangsbehandlung
und damit einer ärztlichen Vernunftshoheit, die sich aus sich
selbst heraus definiert, untergeordnet werden soll.
Die elementare Prüfung der Verhältnismäßigkeit
im engeren Sinne, der für die untergebrachte Person mit der Behandlung
einhergehenden Belastungen, die nicht außer Verhältnis
zu dem erwartbaren Nutzen stehen dürfen, wird weitgehend leerlaufen,
wenn § 8 Abs. 3 Satz 1 UBG als Eingriffsnorm der medikamentösen
Zwangsbehandlung dienen soll, denn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes
darf bei einer medikamentösen Zwangsbehandlung allenfalls
das Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst ein rechtfertigender
Grund für eine Zwangsbehandlung sein, nicht aber der Selbstzweck
der Heilbehandlung um jeden Preis. Zwangsbehandlungen Untergebrachter
können sich danach allenfalls aus dem Ziel der Entlassungsfähigkeit
legitimieren, wenn und soweit sie "nicht [...] generell unzulässig"
sind.
Voraussetzung zur Entlassung eines Patienten aus dem Straf- und Maßregelvollzug
ist eine günstige Kriminalprognose, die zu einem wesentlichen und
ausschlaggebenden Faktor aus der Krankheitseinsicht und der Therapiemotivation
besteht
[xlvii]
. Diese Entlassperspektive
ist gerade bei Patienten, bei denen eine mangelnde Einsichtsfähigkeit
vorliegt, nicht gegeben, viele Maßregelvollzugspatienten werden auch
nach Jahrzehnten nicht aus dem Maßregelvollzug entlassen und sterben
im Maßregelvollzug, ob sie nun Medikamente nehmen oder nicht
[xlviii]
.
Vor diesem Hintergrund erscheint das Gesetzgebungsverfahren auch vor
dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit fraglich,
zumal die vorgesehene Zwangsbehandlung wie aus den bisherigen Erfahrungen
der Praxis ersichtlich, zumindest bei Teilen der Patienten des Maßregelvollzuges
keinen signifikanten Vorteil der Entlassung in sich birgt.
6. Der Ärztevorbehalt und die
Dokumentationspflicht des geplanten § 8 Abs. 4 UBG
Die geplante Regelung, wonach eine Behandlung nach Absatz 3 nur auf Anordnung
und unter Überwachung einer Ärztin oder eines Arztes durchgeführt
werden darf, findet seine Stütze in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes,
wonach wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
jede medizinische Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung
durch einen Arzt erfolgen muss, weil nur dies auch den völkerrechtlichen
Maßgaben, den internationalen Standards in Menschenrechtsfragen und
den fachlichen Standards der Psychiatrie entspricht (UN-Grundsätze
für den Schutz von psychisch Kranken, Grundsatz 10 Abs. 2)
[xlix]
.
Als "Vorwirkung
der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes" ergibt
sich zudem nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes die Notwendigkeit,
gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen,
einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der
maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, zu dokumentieren.
7.
Der Richtervorbehalt des geplanten § 8 Abs. 5 UBG
Eine Behandlung nach § 8 Absatz 3 UBG soll nur mit Zustimmung des
Betreuungsgerichts zulässig sein. (Ausnahme: In den Fällen
von Absatz 3 Satz 1 b bei "Gefahr im Verzug").
Gestützt wird das Vorhaben durch die Entscheidung BVerfG NJW 2011, 2113 die einer solchen Kontrollinstanz
entscheidende objektive Schutzwirkung, die in der Einschaltung eines
externen Dritten liegt, beimisst.
Das Gesetzesvorhaben spricht sich für eine Entscheidungskompetenz
des Betreuungsgerichtes aus, weil gegen die Bestellung eines Betreuers bereits spreche, dass eine solche
bereits heute - vor allem im württembergischen Landesteil - sehr lange dauere und "mit der oft vorliegenden
Eilbedürftigkeit" in diesen Fällen kaum zu vereinbaren wäre. Auch
die Einholung eines neutralen Sachverständigengutachtens würde zu
viel Zeit in Anspruch nehmen.
Diese Einschätzung des Gesetzgebers
insbesondere zur Effektivität des eingeschlagenen Weges wird
den tatsächlichen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten auch in
Ansehung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes,
auf die sich das Vorhaben stützt, vermutlich nicht gerecht.
Aus der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG
wie auch aus der Verpflichtung des Staates, über dessen Eingriffsintensität,
ergeben sich auch Folgerungen für das Prozessrecht und seine Handhabung
in Verfahren.
Zwar wird
es primär in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz dem erkennenden
Gericht und dem Gesetzgeber überlassen bleiben, welchen Weg es im
Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den
für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen.
Das Verfahren
muss aber grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige
Grundlage für eine am Wohl des betroffenen Patienten orientierte
Entscheidung zu erlangen.
Die Fachgerichte wären danach mangels eigener Sachkunde zur Frage
der Erforderlichkeit, der Effektivität, der Verhältnismäßigkeit und
auch der Einwilligungsfähigkeit stets gehalten, ein Sachverständigengutachten
einzuholen
[l]
. Wenn sie
wie geplant aus Zeitgründen von der Beiziehung eines anstaltsexternen
Sachverständigen absehen, müssten sie anderweitig über eine möglichst
zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen, was nicht erkennbar
wäre.
Im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der erforderlichen
gerichtlichen Genehmigung einer Zwangsbehandlung wären insbesondere
auch die mit der beabsichtigten Behandlung verbundenen möglichen Gefahren
und Beeinträchtigungen für den Betroffenen zu berücksichtigen. Bei
der dem Gericht insoweit obliegenden Amtsermittlung sind u.a. auch
die Ergebnisse etwaig bereits erfolgter Behandlungen in der Vergangenheit
zu ermitteln und zu berücksichtigen
[li]
.
Die Notwendigkeit
der Bestellung eines externen Gutachters bei der Beurteilung von Fragen
in Zusammenhang mit den Voraussetzungen und der Notwendigkeit der
Zwangsbehandlung ergäbe sich dann daraus, dass die zwangsweise Medikamentengabe
jedenfalls nach dem Gesetzesvorhaben erklärtermaßen nicht als Erstbehandlung
einer psychischen Erkrankung in Betracht käme, sondern vielmehr als
"ultima ratio" am Ende von in aller Regel langwierigen erfolglosen
Behandlungsversuchen stehen würde.
Nur durch
einen externen Sachverständigen könnte so sichergestellt werden, dass
eine Unterbringung nicht auf Grund einer fest gefügten Meinung länger
als erforderlich ausgedehnt würde (vgl. schon BT-Dr 11/4528, S. 186)
[lii]
.
Diese Modalität
in den Gründen des Gesetzesentwurfs als zu zeitaufwendig zu vermuten,
entspricht den rechtsstaatlichen Gegebenheiten selbst dann nicht,
wenn die gerichtliche Prüfung in § 8 Abs. 6 UBG gewährleistet sein
soll.
Das geplante
Vorhaben ist insoweit defizitär, als die Gerichtsentscheidung
durch das Betreuungsgericht regelmäßig nach dem Verfahrensrecht
auf dem Beschlusswege erfolgen dürfte und jedwede betreuungsrechtliche
Beschlussfassung auf hinreichender Tatsachenermittlung beruhen muss,
um den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines möglichen Eingriffs
in Art. 2 Abs. 2 GG gerecht zu werden. Hier verbietet sich jede übereilte
Entscheidung zugunsten einer nicht vorgesehenen vermeintlichen Effektivität
aus anderen Motiven heraus.
8.
Die Rechtswegegarantie des geplanten § 8 Abs. 6 UBG
Der Verfassungsgeber
hat in Art. 19 Abs. 4 GG nicht die
Kontrolle der objektiven Rechtmäßigkeit staatlicher Maßnahmen, sondern
den individuellen Rechtsschutz der Bürger in den Mittelpunkt richterlicher
Arbeit gestellt.
Individualrechtsschutz
und objektive Rechtmäßigkeitskontrolle sind jedoch kein Gegensatz,
sondern untrennbar miteinander verknüpft, weil ein subjektives Recht
ohne eine auf einem objektiven Rechtssatz beruhende Rechtspflicht
undenkbar ist, so dass das Regelungswerk insoweit nicht zu beanstanden
wäre.
Subjektiver
Rechtsschutz wie mit Art. 8 Abs. 6 UBG durch das Ankündigungserfordernis
gewährleistet, bedeutet immer auch objektive Rechtskontrolle
im Sinne
eines objektiven Rechtsschutz- und Kontrollverfahrens.
Dies folgt auch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Garantie
effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), die Vorwirkungen
auf das Verwaltungsverfahren entfaltet. Der Untergebrachte muss allerdings
stets und auch für den Fall einer anstehenden Eilentscheidung
wegen angenommener "Gefahr in Verzug" Gelegenheit haben, vor Schaffung
vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen
(Art. 13, 14 Abs. 2 BRK) da auch die Annahme einer solchen Gefahr
der gerichtlichen Kontrolle im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes
unterzogen werden muss.
9.
Der Einwilligungsvorbehalt des geplanten § 8 Abs. 7 und 8 UBG
Das Einwilligungserfordernis
der Absätze 7 und 8 missachtet das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht,
wie sie beispielsweise in der Broschüre des Justizministeriums
Baden-Württemberg "Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung"
auch unter rechtlichen Aspekten erörtert wird. Es wird im Regelungswerk
des § 8 UBG insgesamt, insbesondere aber §
8 Abs. 7 und 8 UBG die Option einer Vorsorgevollmacht auch hinsichtlich Inhalt
und Tragweite ausgeblendet, um für etwaige Einwilligungen lediglich
auf den gesetzlichen Vertreter und damit auf den Betreuer eines Patienten
Bezug zu nehmen.
Eine rechtliche Betreuung kann durch eine Vorsorgevollmacht institutionell
ersetzt werden. Dies ist im Gesetzesvorhaben nicht erwähnt. In einer
solchen Erklärung gibt die betroffene Person in gesunden Tagen für
den Fall einer später eintretenden Unfähigkeit, eigene Angelegenheiten
zu regeln einem anderem die Vollmacht, im Namen der betroffenen Person
zu handeln. Die Vorsorgevollmacht darf nicht mit einer Patientenverfügung verwechselt
werden, in der eine gewünschte Heilbehandlung für den Bevollmächtigten
(oder Betreuer) nach § 1901a BGB verbindlich festgelegt werden
kann.
Eine Vorsorgevollmacht
ist eine Willenserklärung, die einem
anderen Menschen die rechtsgeschäftliche Vertretung erlaubt.
Nach § 1896 Abs. 2 BGB
ist dann die Bestellung eines rechtlichen
Betreuers auch bei Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen (§ 1896 Abs. 1 BGB)
entbehrlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch eine Vollmacht
ebenso gut erledigt werden können.
[liii]
.
Desweiteren ist beachtlich, dass ein operativer Eingriff oder eine
Behandlung, die mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen
verbunden sind, dem Genehmigungsvorbehalt des § 1904 Abs. 1, 2 und
5 BGB unterliegen.
Das bedeutet, dass nicht der Betreuer ohne weiteres - gegebenenfalls
mit dem Patienten selbst - in die Behandlung oder Operation einwilligen
kann, vielmehr entscheidet das Betreuungsgericht, dieses erteilt dann
dem Betreuer eine Einwilligungsgenehmigung.
Zu differenzieren ist daher nach der Gesetzeslage wie folgt:
- Soweit der
(einwilligungsfähige) Patient selbst in eine Operation oder in einen
schwerwiegenden Eingriff einwilligen kann, ist die zusätzliche Regelung
des § 8 Abs. 3, 7 UBG an sich obsolet und kann lediglich der Klarstellung
dienen, dass auch ein öffentlich-rechtlich untergebrachter Patient
wie jeder Patient einer Klinik sonst in Eingriffe wie Operationen
etc. einwilligen kann.
- Soweit der
Patient selbst nicht in eine Operation oder in einen schwerwiegenden
Eingriff einwilligen kann, ist die Genehmigung des Betreuungsgerichtes
erforderlich, § 1904 BGB.
10.
Der Vorrang der Patientenverfügung in § 8 Abs. 9 UBG
Durch § 8 Abs. 9 UBG soll klargestellt werden, dass für eine Behandlung in erster Linie der tatsächliche
Wille der untergebrachten Person entscheidend ist. Voraussetzung ist
das Vorliegen einer wirksamen
Patientenverfügung.
Die Regelung erfolgt in Beachtung des aus § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB resultierenden
Selbstbestimmungsrechtes eines Patienten bei Errichtung einer Patientenverfügung.
Das Recht
auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art.
2 Abs. 2 S. 2 GG) gebieten es, jedem Patienten gegenüber einem
Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Ablehnung
von Diagnosestellungen und ärztlichen Behandlungen einzuräumen.
Ärztliche Untersuchungen, Diagnosestellungen, Behandlungen und
Befundungen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose
und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in Hinblick
auf dessen Privatsphäre
[liv]
. Der grundsätzliche
Anspruch des Patienten auf Ablehnung möglicherweise aus ärztlicher
Sicht notwendiger Behandlungen ist auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung
allgemein anerkannt.
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom
17. März 2003 (BGH, XII ZB 2/03 vom 17. März
2003) sollen Patientenverfügungen
(wie auch aktuelle Willensäußerungen) prinzipiell verbindlich
sein. Dies folge, so der BGH, "aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem
Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn
er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist"
Diesem Selbstbestimmungsrecht hat der Gesetzgeber
mit Neuregelung des § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB umfassend
und rechtsverbindlich Rechnung getragen:
§ 1901a
Abs. 1 Satz 1 BGB definiert
eine Patientenverfügung
als "schriftliche Festlegung
eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall
seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt
der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen
seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche
Eingriffe einwilligt oder sie untersagt".
Auf jedwede
Reichweitenbegrenzung einer Patientenverfügung wurde verzichtet
und auch an mögliche Formerfordernisse einer Patientenverfügung
geringe Anforderungen gestellt.
Dem eindeutigen gesetzgeberische Willen, der mit der Neuschaffung
des § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausdruck
kam, wird durch § 8 Abs. 9 UBG Genüge getan. Den entsprechenden
Anforderungen an die Beachtlichkeit einer Patientenverfügung
wird § 8 Abs. 9 UBG gerecht.
11. Zusammenfassung
Zusammenfassend
dürften lediglich § 8 Abs. 1, 2 und Abs. 9 UBG derzeit den
hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden, die das
Bundesverfassungsgericht zur Voraussetzung einer Eingriffsnorm in
weitreichende und bedeutsame Grundrechtspositionen eines öffentlich-rechtlich
untergebrachten Patienten gemacht hat.
Auch wenn die Regelung möglicherweise den Grundsätzen des
Gesetzesvorbehaltes der Art. 2 Abs. 2, und 104 Abs. 1 GG noch genügen,
begegnet der Entwurf zu § 8 UBG nebst den Begründungen verfassungsrechtlichen
Bedenken insbesondere in Hinblick auf die avisierte Behandlung eines
Betroffenen gegen dessen Willen mit Neuroleptika. Besonders gravierend
erscheint, dass eine Zwangsbehandlung eines einwilligungsfähigen
Patienten in Ausnahmefällen einer erheblichen Gesundheitsgefahr
zulässig sein soll.
Die beabsichtigten Regelungen berücksichtigen nicht hinreichend die
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze
des Selbstbestimmungsrechtes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips
hinsichtlich von Alternativoptionen aber auch hinsichtlich der Beurteilung
der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn; auch dem Bestimmtheitsgrundsatz
bei einzelnen Maßnahmen wird wegen der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
wie dem der "erheblichen Gefahr für die Gesundheit" nicht Rechnung
getragen.
Hinzu kommt, dass das Regelungswerk nicht die Rechtsinstitute der Vorsorgevollmacht
und des Genehmigungsvorbehaltes der Betreuungsgerichte beachtet.
Gez. Thomas Saschenbrecker
Gez. Wolf-Dieter Narr